rechtskräftig

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr des beigeordneten RA - Anwendung des § 15a RVG auf Altfälle

 

Leitsatz (redaktionell)

  1. Auf die Vergütung eines im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordneten Rechtsanwalts war jedenfalls nach der bis zur Einführung des § 15a RVG geltenden Rechtslage eine im Vorverfahren entstandene Geschäftsgebühr gemäß Nr. 2300 VV RVG anzurechnen.
  2. Bei Beauftragung vor dem 5. August 2009 ist die Vergütung nach der Übergangsbestimmung des § 60 Abs. 1 Satz 1 RVG nach bisherigem Recht zu berechnen.
  3. § 15a RVG beinhaltet keine bloße Klarstellung der bisherigen Gesetzeslage (entgegen BGH-Beschluss vom 2. September 2009 II ZB 35/07, NJW 2009, 3101; Anschluss an BGH-Beschluss vom 29. September 2009 X ZB 1/09, NJW 2010, 76).
 

Normenkette

RVG §§ 15a, 49, 60 Abs. 1; VV RVG Nr. 2300; Vorbem. 3 Abs. 4 zu Teil 3

 

Tatbestand

Streitig ist, ob auf die nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz – RVG – festzusetzende Vergütung des im Wege der Prozesskostenhilfe – PKH – beigeordneten Erinnerungsführers –Ef. – die Geschäftsgebühr anzurechnen ist.

Der Ef. vertritt im Hinblick auf die Bewilligung von Kindergeld die Interessen seines Mandanten, des Klägers „Q”, zunächst im Rahmen eines bei der Familienkasse „E-Stadt” geführten Einspruchsverfahrens und nunmehr auch als Prozessvertreter im Klageverfahren 15 K 2319/09 Kg, über das der Senat noch nicht entschieden hat. Für dieses Verfahren war dem Kläger mit Beschluss vom 14. April 2010 PKH bewilligt und der Ef. beigeordnet worden.

Am 30. April 2010 hat der Ef. beantragt, bezogen auf einen Gegenstandswert von 14.168 EUR seine Gebühren und Auslagen wie folgt festzusetzen:

1,6 Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG

696,62 EUR

Pauschale für Post, Nr. 7002

20,00 EUR

716,62 EUR

19 % MWSt

136,16 EUR

Gesamt

852,78 EUR

Zugleich hat der Ef. darauf hingewiesen, keine Zahlungen des Klägers erhalten zu haben.

Mit Beschluss vom 18. Juni 2010 setzte die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle die aus der Staatskasse an den Antragsteller zu zahlende Vergütung gemäß §§ 45 RVG ff. auf 0,00 EUR fest. Die Vergütung berechnete sie wie folgt:

1,6 Verfahrensgebühr § 45 RVG i.V.m. Nr. 3200 VV RVG|411,20 EUR

Anrechnung 0,75 Geschäftsgebühr Vorbem. 3 Abs. 4 zu Teil 3 VV RVG|424,50 EUR

Verbleiben|0,00 EUR

Zur Begründung führte die Beamtin an, die PKH bemesse sich nach den ermäßigten Gebührensätzen gemäß § 49 RVG, sodass bezogen auf den Streitwert von 14.168 EUR die 1,6 fache Gebühr nur 411,20 EUR betrage. Auf die Verfahrensgebühr sei die Geschäftsgebühr unabhängig davon anzurechnen, dass diese nicht gezahlt worden sei; allein das Entstehen der Geschäftsgebühr sei maßgebend. Ob die neue Regelung des § 15a RVG im vorliegenden (Alt-)Fall gelte, könne dahin stehen, weil die Staatskasse nicht „Dritter” i.S. von § 15a Abs. 2 RVG sei.

Mit der hiergegen eingelegten Erinnerung macht der Ef. geltend, die Kürzung der Verfahrensgebühr sei fehlerhaft. Nach der Rechtsprechung mehrerer Senate beim Bundesgerichtshof –BGH – wie auch weiterer Gerichte sowie Literaturstimmen dürfe die (nicht erhaltene) Geschäftsgebühr nicht angerechnet werden. Die Regelung des § 15a RVG – einschließlich des Abs. 2 – sei auch im vorliegenden Fall anzuwenden.

Der Ef. beantragt,

unter Änderung des Beschlusses vom 18. Juni 2010 die Vergütung ohne Anrechnung der Geschäftsgebühr festzusetzen.

Der Erinnerungsgegner beantragt,

die Erinnerung zurückzuweisen.

Der zunächst mit der Sache befasste Einzelrichter (§ 56 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 33 Abs. 8 Satz 1 RVG) hat das Verfahren mit Beschluss vom 7. Oktober 2010 nach § 56 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 33 Abs. 8 Satz 2 RVG auf den Senat übertragen.

 

Entscheidungsgründe

Die Erinnerung ist unbegründet.

Der angefochtene Beschluss vom 18.06.2010 ist rechtmäßig; die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle hat die Vergütung zutreffend unter Anrechnung der Geschäftsgebühr festgesetzt.

Nach der Vorbemerkung 3 Abs. 4 der Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG – VV RVG – wird, soweit wegen desselben Gegenstands eine Geschäftsgebühr nach den Nummern 2300 bis 2303 entsteht, diese Gebühr zur Hälfte, jedoch höchstens mit einem Gebührensatz von 0,75, auf die Verfahrensgebühr des gerichtlichen Verfahrens angerechnet.

Der Tatbestand dieser gesetzlichen Regelung ist hier erfüllt. Der Ef. war bereits vorgerichtlich für den Kläger tätig und hatte damit einen Anspruch auf die Geschäftsgebühr gemäß Nr. 2300 VV RVG erwirkt. Nach dem – insoweit eindeutigen und nicht auslegungsfähigen – Wortlaut der Bestimmung hat die Anrechnung bereits mit der (bloßen) Entstehung der Gebühr zu erfolgen. Ob der Anwalt die Geschäftsgebühr tatsächlich erhalten hat bzw. erhält, ist nach dem Gesetzeswortlaut nicht maßgebend (Beschlüsse des Bundesgerichtshofs – BGH – vom 22. Januar 2008 VIII ZB 57/07, Neue Juristische Wochenschrift – NJW – 2008, 1323; des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen – OVG NW – vom 10. Juni 2010 18 E 1722/09, juris; des Hessischen Landesarbeitsgerichts – LAG – vom 10. Mai 2010 13 Ta...

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