Entscheidungsstichwort (Thema)
Aussetzung der Vollziehung gegen Sicherheitsleistung
Leitsatz (redaktionell)
- Steht die Aussetzung der Vollziehung gegen Sicherheitsleistung im Streit, muss die Finanzbehörde die für eine Gefährdung des Steueranspruchs sprechenden Gesichtspunkte und der Steuerpflichtige ggf. Umstände, die ein dargelegtes Sicherungsbedürfnis der Behörde entfallen oder unangemessen erscheinen lassen, vortragen.
- Hat sich die Finanzbehörde mangels Mitwirkung des im EG-Ausland ansässigen Steuerpflichtigen erfolglos bemüht, Erkenntnisse über dessen wirtschaftliche Situation zu gewinnen, ist – vorbehaltlich ganz überwiegender Erfolgsaussichten in der Hauptsache – die Anordnung einer Sicherheitsleistung geboten.
- Es ist ernstlich zweifelhaft, ob der Ort der Medikamentenlieferungen einer Versandapotheke mit Sitz in den Niederlanden dort oder im Inland liegt, wenn der jeweilige Kunde den Transportauftrag für die laut AGB bestehende Holschuld erteilt, indem er die Versandapotheke im Bestellformular unwiderruflich bevollmächtigt, in seinem Namen und auf seine Rechnung einen Kurierdienst mit dem Transport der Medikamente von den Niederlanden nach Deutschland zu beauftragen, und damit der Leistungsort entgegen der für Verbrauchsgüterkäufe geltenden Regelung des § 474 Abs. 2 BGB an den Sitz der Versandapotheke verlagert wird.
- Nach Sinn und Zweck der Versandhandelsregelung des § 3c UStG steht der Lieferort grundsätzlich nicht zur Disposition des Unternehmers.
- Die Verlagerung des Leistungsorts in die Niederlande könnte weiterhin mangels beachtlicher außersteuerlicher Gründe eine unangemessene rechtliche Gestaltung i. S. d. § 42 AO darstellen.
Normenkette
FGO § 69 Abs. 2 Sätze 2-3, Abs. 3; UStG § 3 Abs. 5a, 6 S. 1, § 3c Abs. 1 S. 1; BGB § 306 Abs. 2, §§ 307, 310 Abs. 3, §§ 446-447, 474 Abs. 1 S. 1, Abs. 2; EGBGB Art. 29; AO § 42
Streitjahr(e)
2009
Tatbestand
I. Die Antragstellerin begehrt die Aussetzung der Vollziehung der angefochtenen Umsatzsteuervorauszahlungsbescheide 1/2009 bis 7/2009 ohne Sicherheitsleistung.
Alleinige Gesellschafterin der in A-Stadt – Niederlande – ansässigen Antragstellerin ist die A.-Dienstleistungen GmbH, A-Straße 1 in B-Stadt.
Die Antragstellerin verkauft seit April 2008 an private Kunden in Deutschland Medikamente in Zusammenarbeit mit folgenden Apotheken:
in C-Stadt die B.-Apotheke sowie die A.-Apotheke
in D-Stadt die A.-Apotheke
in E-Stadt die A.-Apotheke und die C.-Apotheke
in F-Stadt die A.-Apotheke.
Die verkauften Medikamente bezieht sie von einem inländischen Großhändler. In den o. g. Apotheken werden die inländischen Kunden über das – gegenüber den inländischen Preisen günstigere – Angebot der Antragstellerin informiert und beraten. Die Kunden geben in diesen Apotheken ihre an die Antragstellerin gerichteten Bestellungen ab, die die Apotheken anschließend an die Antragstellerin weiterleiten. Die bei der Antragstellerin bestellten Medikamente können entweder bei der Antragstellerin oder in der inländischen Apotheke, bei der sie bestellt worden sind, abgeholt werden.
Zur Bestellung der Medikamente füllen die Kunden einen an die Antragstellerin gerichteten Bestellschein aus. Auf diesem Bestellschein hat der Kunde anzukreuzen:
„Mir ist bekannt, dass ein Kaufvertrag erst zustande kommt, wenn die A.-Apotheke B.V. die Annahme der Bestellung binnen 2 Werktagen ab Abgabe der Bestellung bestätigt oder die bestellte Ware innerhalb der vorgenannten Frist zur Abholung bereitstellt.
Ich hole die Medikamente nach der Bereitstellung durch die A.-Apotheke B.V. selbst in den Geschäftsräumen der A.-Apotheke B.V. ab.
oder
Hiermit bevollmächtige ich die A.-Apotheke B.V. unwiderruflich, in meinem Namen und auf meine Rechnung einen Kurierdienst mit dem Transport der oben bestellten Medikamente von der A.-Apotheke B.V. zur Z.-Apotheke zum Preis von 0,50 EUR pro Bestellung zu beauftragen.”
Auf der Rückseite des Bestellscheins sind allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) abgedruckt, u. a.:
„§ 5 Zahlungsbedingungen und Zahlungsverzug
Abs. 2 Sollte der Käufer in seinem Namen und auf seine Rechnung den Versand der bestellten Medikamente an die den Kaufvertrag vermittelnde deutsche Apotheke beauftragt haben, so ist der Kaufpreis ohne Abzug bei Abholung der Ware Zug um Zug gegen Übergabe der Ware an die vermittelnde Apotheke mit schuldbefreiender Wirkung zu zahlen. Die vermittelnde Apotheke ist zur Entgegennahme von Zahlungen an die A.-Apotheke B.V. ausdrücklich bevollmächtigt.
§ 7 Erfüllungsort und Gefahrübergang
Erfüllungsort ist der Geschäftssitz der Verkäufers (Holschuld). Die Gefahr eines zufälligen Untergangs oder einer zufälligen Verschlechterung der Ware geht auf den Käufer über, sobald die A.-Apotheke B.V. dem Käufer mitgeteilt hat, dass die Ware ausgesondert und zur Abholung bereit steht.
§ 9 Lieferung und Verzug
Abs. 1 Gegenstand des Vertrags ist ausdrücklich nicht auch die Lieferung der vom Käufer bestellten Medikamente. Der Verkäufer stellt diese Medikamente vielmehr in seinen Geschäftsräumen zur Abholung...