vorläufig nicht rechtskräftig
Revision zugelassen durch das FG
Revision eingelegt (Aktenzeichen des BFH [II R 35/22 )]
Entscheidungsstichwort (Thema)
Auskunftsanspruch aus Art. 15 Abs. 1 DSGVO: Akteneinsicht zu anonymer Anzeige – Schutz des Geheimhaltungsinteresses des Anzeigeerstatters; Interessenabwägung. - Revision eingelegt (Aktenzeichen des BFH: IX R 27/22)
Leitsatz (redaktionell)
- Bei einer der Finanzbehörde vorliegenden anonymen Anzeige gegen einen Steuerpflichtigen handelt es sich um ein personenbezogenes Datum im Sinne des Art. 4 Nr. 1 DSGVO.
- Der Gewährung einer Akteneinsicht auf der Rechtsgrundlage des Art. 15 Abs. 1 DSGVO durch die Überlassung einer Kopie der anonymen Anzeige an den Steuerpflichtigen kommt nur in Betracht, wenn im Rahmen der vorzunehmenden Interessenabwägung sein Auskunftsinteresse das durch das Steuergeheimnis geschützte Geheimhaltungsinteresse des Anzeigeerstatters überwiegt.
Normenkette
DSGVO Art. 4 Nrn. 1-2, Art. 15 Abs. 1, Art. 23 Abs. 1 Buchst. i; AO § 30 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a, § 32b Abs. 1 S. 1 Nr. 2, § 32c Abs. 1 Nr. 1
Tatbestand
Das beklagte Finanzamt ordnete mit Verfügung vom 21. April 2020 eine Außenprüfung bei der Klägerin an, die sich unter anderem auf die Körperschaftsteuer, Umsatzsteuer und Gewerbesteuer für die Jahre 2016 bis 2018 beziehen sollte. Nach dem Beginn der Prüfung forderte die Prüferin die Klägerin mit Schreiben vom 26. Oktober 2020 unter anderem auf, Aufträge und Stundenzettel der Arbeitnehmer, Arbeitsnachweise sowie Kostenvoranschläge und Angebote zu übersenden. Diesen Unterlagen komme besondere Bedeutung zu, weil die Klägerin in einer anonymen Anzeige beschuldigt worden sei, Überstunden „schwarz ausbezahlt” und Erlöse „schwarz vereinnahmt” zu haben.
Die Klägerin beantragte mit Schreiben vom 15. Februar 2021, ihr Akteneinsicht zu gewähren. Der Antrag beziehe sich insbesondere auf den Zugang zu den Informationen und Dokumenten, die in der Betriebsprüfungsakte zu der anonymen Anzeige enthalten seien. Den Antrag stützte sie auf Art. 15 der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung - DSGVO).
Das beklagte Finanzamt lehnte den Antrag mit Bescheid vom 11. März 2021 ab und führte aus: Der Klägerin könne die von ihr begehrte Auskunft nach § 32c Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 32b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a der Abgabenordnung (AO) nicht erteilt werden. Die in der Betriebsprüfungsakte vorhandenen Informationen dienten der ordnungsgemäßen Erfüllung der in der Zuständigkeit der Finanzbehörde liegenden Aufgaben. Die Erteilung einer Auskunft über diese Informationen könne die Erfüllung dieser Aufgaben gefährden. Bezüglich der anonymen Anzeige bestehe nach § 32c Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 32b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO kein Auskunftsanspruch der Klägerin, weil durch eine Erteilung der Auskunft Rechte anderer Personen beeinträchtigt würden. Der Klägerin könne Auskunft über die sie betreffenden personenbezogenen Daten in Form einer Übersicht der Grunddaten und Bescheide erteilt werde, sofern das gewünscht werde.
Die Klägerin trägt mit ihrer Klage vor: Sie habe nach Art. 15 Abs. 1 und 3 DSGVO einen Anspruch auf Zugang zu den Informationen und Dokumenten, die im Zusammenhang mit der Außenprüfung verarbeitet worden seien. Dieser Anspruch betreffe insbesondere die in den Akten des beklagten Finanzamts enthaltenen Dokumente und Aktenvermerke zu der anonymen Anzeige. Ein Ausschlussgrund nach § 32b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a AO greife nicht ein, weil durch eine Akteneinsicht die ordnungsgemäße Erfüllung der in der Zuständigkeit der Finanzbehörden liegenden Aufgaben nicht gefährdet werde. Sie habe im Rahmen der Außenprüfung aktiv mitgewirkt. Es bestehe insbesondere nicht die Gefahr, dass sie nach der Gewährung der Akteneinsicht steuerlich bedeutsame Sachverhalte verschleiern könne. Das beklagte Finanzamt habe nicht konkret vorgetragen, inwieweit eine Verschleierung durch sie zu befürchten sei. Das beklagte Finanzamt müsse die Informationen und Unterlagen ohnehin im Rahmen eines späteren finanzgerichtlichen Verfahrens offenlegen. Das beklagte Finanzamt könne sich für die Verweigerung der Akteneinsicht auch nicht auf § 32b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO stützen. Dritter im Sinne dieser Bestimmung könne nicht eine Person sein, die eine anonyme Anzeige erstattet habe. Im Übrigen sei der Schutz des Dritten bereits durch die Anonymität der Anzeige gewahrt.
Die Klägerin beantragt,
das beklagte Finanzamt unter Aufhebung seines Bescheids vom 11. März 2021 zu verpflichten, ihr im Wege der Akteneinsicht Zugang zu sämtlichen Dokumenten und Aktenvermerken zu gewähren, die in den die Außenprüfung betreffenden Akten enthalten sind, insbesondere zu den Dokumenten und Aktenvermerken bezüglich der anonymen Anzeige;
hilfsweise die Revision zuzulassen.
Das beklagte Finanzamt beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur B...