Entscheidungsstichwort (Thema)
Zolltarifrecht: Vorabentscheidungsersuchen: Auslegung des Begriffs der Diagnostik- oder Laborreagenzien in Pos. 3822 KN
Leitsatz (amtlich)
Dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften wird folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt: Ist der in der Position 3822 KN in den Worten Diagnostikreagenzien und Laborreagenzien verwendete Begriff des Reagenz so zu verstehen, dass es sich um eine Substanz handeln muss, die dazu dient, sich durch seine chemische Reaktion auf einen bzw. mit einem zu untersuchenden Stoff in chemischer Hinsicht umzuwandeln, um einen Zustand oder eine Eigenschaft des Stoffes anzuzeigen?
Normenkette
ZK Allgemein
Nachgehend
Tatbestand
I.
Die Beteiligten streiten über die Einreihung zweier Waren.
1. Die eine der beiden Waren trägt die Bezeichnung "A". Es handelt sich um einen einmal verwendbaren Indikator, der durch eine Farbänderung die Überschreitung einer bestimmten Ansprechtemperatur und deren ungefähre Dauer irreversibel anzeigt. Er kann zur Überwachung der Lager- und Transporttemperatur von empfindlichen Gütern (z. B. Impfstoffen, Arzneimitteln, Chemikalien) verwendet und zu diesem Zweck auf die Güter aufgeklebt werden. Es gibt verschiedene Versionen der Ware mit unterschiedlichen Ansprechtemperaturen (von -18°C bis +37°C) und unterschiedlichen Auslösezeiten (0,5 h bis 48 h).
Die Funktion des Indikators beruht auf zwei aufeinander liegenden Papierstreifen, die durch eine farblose Folie voneinander getrennt und von weiterem Papier umhüllt sind. Der untere der beiden Papierstreifen ist mit einer roten Substanz getränkt und von außen nicht sichtbar. Der obere Papierstreifen ist weiß und von außen durch kleine Folienfenster in der Papierumhüllung sichtbar. Durch Ziehen einer Aktivierungslasche wird die Trennfolie entfernt und die beiden Papierstreifen kommen in direkten Kontakt. Sobald die Umgebungstemperatur die aufgedruckte Ansprechtemperatur erreicht bzw. übersteigt, wandert die rote Substanz, deren Verflüssigungstemperatur offenbar mit der Ansprechtemperatur identisch ist, durch Kapillarkräfte in den oberen, vormals weißen Papierstreifen und färbt diesen irreversibel rot. Durch das Folienfenster ist nun erkennbar, ob die Ansprechtemperatur überschritten wurde. Das Ausmaß der Rotfärbung lässt Rückschlüsse auf die Dauer der Überschreitung zu.
Die andere der beiden Waren trägt die Bezeichnung "B". Es handelt es um einen einmal verwendbaren Indikator, der die Unterschreitung einer bestimmten Schwellentemperatur durch eine Farbänderung irreversibel anzeigt. Er dient der Überwachung von Lager- und Transporttemperaturen.
Der Indikator (Länge: ca. 8 cm) besteht aus einem Kapillarröhrchen, das am Ende zu einer kleinen Hohlkugel ausgeformt ist und sich zusammen mit einem Schutz aus Schaumstoff und einem bedruckten Papierstreifen in einer transparenten Kunststoffhülle mit Klebeschicht und Schutzfolie befindet. Die von außen sichtbare Hohlkugel ist mit einer farblosen Flüssigkeit gefüllt, während der von einer Ummantelung verdeckte Teil des Kapillarröhrchens eine Farbstofflösung enthält. Wird die auf dem Papierstreifen angegebene Schwellentemperatur unterschritten, wird infolge der Volumenkontraktion der farblosen Flüssigkeit in der Hohlkugel die Farbstofflösung aus dem Kapillarröhrchen angesaugt und es tritt eine irreversible Violettfärbung der vormals farblosen Flüssigkeit ein.
2. Die Klägerin beantragte für die zwei Waren verbindliche Zolltarifauskünfte (vZTA). Zusammen mit ihrem Antrag reichte die Klägerin ein Schreiben der US-amerikanischen Zollbehörde vom 22.03.2010 (Bl. 34 ff. der Gerichtsakte - GA -) ein, nach dessen Inhalt beide Waren auf Antrag der Klägerin unter die Tarif-Nr. 3822 00 5090 eingereiht worden waren. Zur Begründung enthält das Schreiben im Wesentlichen Ausführungen, warum eine Einreihung der Waren unter die Tarif-Nr. 9025 ausscheide.
Der Beklagte reihte mit zwei vZTA vom 25.01.2011 (DE ...-1 und DE ...-2) jede der beiden Waren als Erzeugnis der chemischen Industrie, anderweit weder genannt noch inbegriffen, in die Codenummer 3824 9097 99 ein.
Den gegen beide vZTA eingelegten Einspruch wies der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 19.09.2011, der Klägerin am 29.09.2011 zugegangen, als unbegründet zurück. Die von der Klägerin begehrte Einreihung der Waren unter Pos. 3822 der Kombinierten Nomenklatur (KN) setze notwendig voraus, dass bei Verwendung der Waren eine chemische oder biochemische Reaktion stattfinde. Die bei der Verwendung der streitgegenständlichen Waren eintretenden Verfärbungen beruhten hingegen auf physikalischen Vorgängen, nämlich der Migration von farbigen Flüssigkeiten. Ob die US-Zollbehörden den Begriff der Labor- bzw. Diagnostikreagenz in Pos. 3822 KN weiter fassten, sei für die Einreihung durch Zollbehörden der Europäischen Union unerheblich.
3. Die Klägerin verfolgt ihr Ziel der Einreihung unter Pos. 3822 KN mit ihrer am 31.10.2011 erhobenen Klage weiter.
Die Klägerin meint, e...