Entscheidungsstichwort (Thema)
Erstattung von Antidumpingzoll nach Ungültigerklärung der Rechtsgrundlage durch den EuGH
Leitsatz (amtlich)
1. Wird die Ermächtigungsgrundlage für die Festsetzung von Antidumpingzoll durch den EuGH im Rahmen eines Vorabentscheidungsersuchens für ungültig erklärt, muss der Antidumpingzoll gem. Art. 266 Abs. 1 AEUV analog unverzüglich erstattet werden.
2. Ein Zurückbehaltungsrecht der Zollbehörde im Hinblick auf einen Erstattungsanspruch setzt das Bestehen eines Gegenanspruchs voraus.
Normenkette
ZK Art. 236; AEUV Art. 266 Abs. 1; EUDVO-2020/611 Art. 2; EGVO-926/2009
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Erstattung von Antidumpingzoll.
Die Klägerin überführte am 4. November 2014 Rohre aus Stahl der Unterposition 7304 5993 20 0 KN und mit Ursprung in der VR China in den zoll- und steuerrechtlich freien Verkehr. Hersteller der Rohre war die A. Hierfür setzte der Beklagte auf der Grundlage der Verordnung (EG) Nr. 926/2009 mit Einfuhrabgabenbescheid XXX-1 vom 4. November 2014 Antidumpingzoll in Höhe von ... € fest.
Mit Schreiben vom 6. November 2017 beantragte die Klägerin die Erstattung des mit Bescheid vom 4. November 2014 festgesetzten Antidumpingzolls. Außerdem beantragte sie, den Erstattungsbetrag nach § 238 AO zu verzinsen. Sie begründete ihren Erstattungsantrag damit, dass das Gericht der Europäischen Union (EuG) mit Urteil vom 29. Januar 2014 (T-528/09) die Rechtsgrundlage für die Erhebung der Antidumpingzölle - die Verordnung (EG) Nr. 926/2009 - im Hinblick auf Ausfuhren der Hubei Xinyegang Steel Co. Ltd. für nichtig erklärt habe. Die Rechtsmittel gegen dieses Urteil habe der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) mit Urteil vom 7. April 2016 (C-186/14 P und C-193/14 P) zurückgewiesen. Da die Gründe für die Nichtigerklärung allgemeiner Natur seien, sei die Verordnung (EG) Nr. 926/2009 erga omnes unwirksam.
Mit Bescheid XXX-2 vom 12. Dezember 2017 lehnte der Beklagte den Erstattungsantrag ab. Das Urteil des EuG gelte nur für den klagenden Hersteller. Den mit Schreiben vom 20. Dezember 2017 eingelegten Einspruch lehnte der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 23. August 2018 (xxx) ab. Da die Verordnung (EG) Nr. 926/2009 nicht mit erga omnes-Wirkung für nichtig erklärt worden sei, bilde sie unverändert die rechtliche Grundlage für die Erhebung des Antidumpingzolls.
Mit der am 28. September 2018 erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Sie beruft sich auf die erga omnes-Nichtigkeit der Verordnung.
Mit Beschluss vom 3. April 2019 hat der Senat dem EuGH die Frage vorgelegt:
Ist die Verordnung (EG) Nr. 926/2009 des Rates vom 24. September 2009 zur Einführung eines endgültigen Antidumpingzolls und zur endgültigen Vereinnahmung des vorläufigen Zolls auf die Einfuhren bestimmter nahtloser Rohre aus Eisen oder Stahl mit Ursprung in der Volksrepublik China gültig?
Der EuGH hat mit Urteil vom 4. Februar 2021 (C-324/19)entschieden:
Die Verordnung (EG) Nr. 926/2009 des Rates vom 24. September 2009 zur Einführung eines endgültigen Antidumpingzolls und zur endgültigen Vereinnahmung des vorläufigen Zolls auf die Einfuhren bestimmter nahtloser Rohre aus Eisen oder Stahl mit Ursprung in der Volksrepublik China ist ungültig.
Ursprünglich hat die Klägerin neben der Verpflichtung zur Erstattung des Antidumpingzolls auch die Verzinsung des zu erstattenden Betrags begehrt. Nach einem gerichtlichen Hinweis beantragt die Klägerin nunmehr sinngemäß,
den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids XXX-2 vom 12. Dezember 2017 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 23. August 2018 (xxx) zu verpflichten, ihr Antidumpingzoll in Höhe von ... € zu erstatten.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Auch nachdem der EuGH die Verordnung (EG) Nr. 926/2009 insgesamt für ungültig erklärt habe, sei eine Erstattung zurzeit nicht möglich. Es müsse abgewartet werden, ob der vom EuGH festgestellte Fehler der Verordnung geheilt werden könne. Das Beispiel von Art. 2 Abs. 2 Durchführungsverordnung (EU) 2020/611 zeige, dass Erstattungen wieder eingezogen werden müssten.
Bei der Entscheidung hat die Sachakte des Beklagten vorgelegen, auf die ergänzend Bezug genommen wird.
Entscheidungsgründe
I.
Im Einverständnis der Beteiligten (...) ergeht die Entscheidung durch den Berichterstatter anstelle des Senats (§ 79a Abs. 3, Abs. 4 FGO) und ohne mündliche Verhandlung (§ 90 Abs. 2 FGO).
II.
Die auf den Erstattungsantrag beschränkte Klage hat in der Sache Erfolg. Die Ablehnung des Erstattungsantrags vom 6. November 2017 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, weil sie einen Anspruch auf Erstattung hat (§ 101 Satz 1 FGO).
Auch wenn mit Wirkung zum 1. Mai 2016 die Verordnung (EU) Nr. 952/2013 vom 9. Oktober 2013 zur Festlegung des Zollkodex der Union (ABl. L 269, 1; Unionszollkodex - UZK) vollständig in Kraft getreten und zeitgleich die Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (ABl. EG L 302/1; Zollkodex - ZK) aufgehoben wurde (Art. 286 Abs. 2 i. ...