Entscheidungsstichwort (Thema)
Überführung eines Wirtschaftsguts in eine ausländische Betriebsstätte, Europarecht: Gewinnerhöhende Auflösung des gemäß Betriebsstättenerlass gebildeten Ausgleichspostens nach 10 Jahren, Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit
Leitsatz (redaktionell)
Die zwangsweise gewinnerhöhende Auslösung eines nach den Grundsätzen des Betriebsstättenerlasses vom 24.12.1999 (BStBl. I 1999, 1076, Tz. 2.6.1.) anlässlich der Überführung eines Wirtschaftsguts in eine ausländische Betriebsstätte gebildeten Ausgleichspostens nach Ablauf von zehn Jahren begegnet ernsthaften europarechtlichen Bedenken.
Normenkette
EStG § 4 Abs. 1; EU-Vertrag Art. 49
Tatbestand
I.
Die Beteiligten streiten in der Hauptsache über die Frage, ob ein im Jahre 1998 anlässlich der Übertragung von Wirtschaftsgütern in eine ausländische Betriebsstätte gebildeter bilanzieller Ausgleichsposten im Streitjahr 2008 gewinnerhöhend aufgelöst werden darf.
Die Klägerin gründete im Jahre 1997 eine Betriebsstätte in Belgien, die anschließend den weltweiten Vertrieb der von der A N.V. (im Folgenden A), einer Aktiengesellschaft mit Sitz in Belgien, hergestellten Produkte übernahm. Im Jahre 1998 wurden die im Gesamthandsvermögen der Klägerin befindlichen Aktien der A kraft Funktionszusammenhang der belgischen Betriebsstätte zugeordnet. Dies ist zwischen den Beteiligten unstreitig, ebenso der Wert der seinerzeit überführten Aktien, welche stille Reserven in einer Höhe von 1.385.151,06 EUR enthielten.
Im Rahmen der Veranlagung des Jahres 1998 aktivierte der Antragsgegner im Zusammenhang mit der Überführung der Aktien in die ausländische Betriebsstätte die stillen Reserven bei der Antragstellerin. Gleichzeitig bildete er in entsprechender Höhe einen passiven Ausgleichsposten, so dass im Jahre 1998 aus der Aktivierung keine steuerlichen Folgen zu ziehen waren. In dem entsprechenden Änderungsbescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen 1998 vom 05.04.2009 wies der Antragsgegner in den Erläuterungen darauf hin, dass aufgrund der Überführung der Beteiligung in die ausländische Betriebsstätte nach Verwaltungsauffassung und früherer Rechtsprechung ein Gewinn entstanden sei, der jedoch aufgrund der Billigkeitsregelungen im Betriebsstättenerlass durch die Bildung eines Korrekturpostens nicht im Entstehungsjahr, sondern in den Folgejahren, spätestens nach zehn Jahren, zu versteuern sei. Insoweit sei davon auszugehen, dass der gebildete Korrekturposten weiterhin Gültigkeit habe. Soweit aus dem Urteil des BFH vom 17.07.2008 (I R 77/06) folge, dass die Überführung von Wirtschaftsgütern von einer inländischen in eine ausländische Betriebsstätte nicht zu einer sofortigen Gewinnrealisation führe, habe dies im Änderungsbescheid nicht berücksichtigt werden können, da das Urteil noch nicht im Bundessteuerblatt veröffentlicht worden sei.
Im Rahmen der Veranlagung zur gesonderten und einheitlichen Feststellung von Besteuerungsgrundlagen 2008 löste der Antragsgegner den gebildeten passiven Ausgleichsposten in einer Höhe von 1.385.151,06 EUR gewinnerhöhend auf. Insoweit wich er von der Steuererklärung der Antragstellerin ab.
Gegen den Feststellungsbescheid vom 20.04.2011 legte die Antragstellerin am 20.05.2011 Einspruch ein, den sie dahingehend begründete, dass die Verwaltungsauffassung, wonach entsprechend der Billigkeitsregelung im Betriebsstättenerlass spätestens nach zehn Jahren in eine ausländische Betriebsstätte überführte Aktien im Hinblick auf ihre stillen Reserven zu versteuern seien, infolge der Aufgabe der sogenannten Theorie der finalen Entnahme seitens des Bundesfinanzhofes überholt sei. In seiner Entscheidung vom 17.07.2008 habe der BFH festgestellt, dass die Regelung des § 6 Abs. 5 EStG erstmals für alle nach dem 31.12.1998 abgeschlossenen Erwerbsvorgänge gelte. Aus diesem Grunde sei die im Jahre 1998 erfolgte Übertragung der Aktien durch die Antragstellerin weder als steuerpflichtige Außentransaktion noch als Entnahme, noch als Lösung aus dem bisherigen betrieblichen Funktionszusammenhang zu sehen. Mangels eines Außenumsatzes sei kein Realisationstatbestand erfüllt. Die Versteuerung der stillen Reserven im Jahre 2008 entbehrte somit einer gesetzlichen Grundlage.
Mit Einspruchsentscheidung vom 08.07.2011 wies der Antragsgegner den Einspruch als unbegründet zurück. Zur Begründung führte er aus, dass die Verwaltung mit dem BMF-Schreiben vom 20.05.2009 (BStBl II 2009, 671) und der Gesetzgeber mit dem Jahressteuergesetz 2010 vom 08.12.2010 (BGBl I 2010, 1768) auf die mit Urteil vom 17.07.2008 geänderte Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs reagiert habe. Nach dem BMF-Schreiben sei die Entscheidung über die Aufgabe der finalen Entnahmetheorie über den entscheidenden Einzelfall hinaus nicht anzuwenden. Durch die Einfügung der Sätze 2 und 3 in § 52 Abs. 8 b EStG habe der Gesetzgeber weiterhin die Möglichkeit genutzt, die Besteuerung von Zurechnungsfällen sachgerecht und zeitlich lückenlos zu regeln und die Grundsätze der BFH...