Entscheidungsstichwort (Thema)
Gerichtliche Nachprüfung einer Billigkeitsentscheidung. zum Erlass verpflichtende sachliche Unbilligkeit. Einbeziehung nachträglicher Herstellungskosten in die umsatzsteuerliche Bemessungsgrundlage und in die Berichtigung des Vorsteuerabzugs zu unterschiedlichen Zeitpunkten
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Entscheidung über eine Billigkeitsmaßnahme gemäß § 227 AO ist eine Ermessensentscheidung, die gerichtlich nur in den durch § 102 FGO gezogenen Grenzen daraufhin nachprüfbar ist, ob die Behörde bei ihrer Entscheidung die gesetzlichen Grenzen des Ermessen überschritten oder von dem eingeräumten Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat.
2. Die Festsetzung einer Steuer ist sachlich unbillig, wenn sie zwar äußerlich dem Gesetz entspricht, aber den Wertungen des Gesetzgebers im konkreten Fall derart zuwiderläuft, dass die Erhebung der Steuer als unbillig erscheint. So verhält es sich, wenn nach dem erklärten oder mutmaßlichen Willen des Gesetzgebers angenommen werden kann, dass der Gesetzgeber die im Billigkeitswege zu entscheidende Frage – wenn er sie als regelungsbedürftig erkannt hätte – im Sinne der beabsichtigten Billigkeitsmaßnahme entschieden hätte.
3. Eine zum Erlass verpflichtende sachliche Unbilligkeit liegt vor, soweit nachträgliche Herstellungskosten bei Vermietung gegen Kostenmiete unter Einbeziehung der AfA bereits zu Beginn des Kalenderjahres die umsatzsteuerliche (Mindest-)Bemessungsgrundlage erhöhen, andererseits aber erst ab der – unterjährigen – Fertigstellung der betreffenden Wirtschaftsgüter in die Berichtigung des Vorsteuerabzugs eingehen.
Normenkette
AO §§ 227, 5; FGO § 102; UStG § 10 Abs. 4-5, § 15a Abs. 1 S. 2, Abs. 6
Nachgehend
Tenor
Unter Aufhebung des ablehnenden Bescheides vom 20.12.2012 und der Einspruchsentscheidung vom 02.07.2013 wird der Beklagte verpflichtet, Umsatzsteuer für das Jahr 2004 i. H. v. … EUR zu erlassen.
Von den Kosten des Verfahrens haben die Klägerin 56 % und der Beklagte 44 % zu tragen.
Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren wird für notwendig erklärt.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt einen Teilerlass der festgesetzten Umsatzsteuer aus sachlichen Billigkeitsgründen im Zusammenhang mit der Ermittlung des Beginns des Vorsteuerberichtigungszeitraumes gemäß § 15 a Umsatzsteuergesetz (UStG).
Die … GbR (im folgenden: GbR), bestehend aus den Gesellschaftern A…, B. und C. zu je 1/3, errichtete auf einem hierfür erworbenen Grundstück eine Kurklinik. Ab dem 01.10.1994 vermietete die GbR das Grundstück an die …. KG (im Folgenden: KG) unter Verzicht auf die Steuerbefreiung gemäß § 9 UStG. Vertraglich vereinbarten die Parteien eine zweigeteilte Miete. Als Immobilienmiete für Boden, Gebäude und Außenanlagen wurde auf eine kostendeckende Miete abgestellt, die sich nach der linearen Regel-AfA nach § 7 Abs. 4 Satz 1 EStG bemaß. Als Mobilienmiete wurde ein Kostenersatz vereinbart. Wegen der Einzelheiten wird auf den Mietvertrag vom 19.09.1994 und den Nachtrag zum Mietvertrag Bezug genommen (Bl. 33-35 2 K 124/04). Durch Aufnahme der KG als weitere Gesellschafterin der GbR zum 01.08.2004 und die anschließende Kündigung der übrigen Gesellschafter mit Wirkung zum 30.09.2004 übernahm die KG zum 01.10.2004 deren Gesellschaftsanteile. Mit der Anwachsung endete die Vermietung. In der Zeit von 1995 bis 1999 entstanden nachträgliche Anschaffungs- und Herstellungskosten für das unbewegliche Anlagevermögen der GbR. Die Bemessungsgrundlage der Umsatzsteuer ermittelte die GbR in der Zeit von Oktober 1994 bis September 2004 nach § 10 Abs. 5 Nr. 1 UStG anhand der mit den Umsätzen verbundenen Kosten (§ 10 Abs. 4 Nr. 2 UStG) einschließlich der ertragsteuerlich vorzunehmenden Absetzung für Abnutzung (AfA).
Die Klägerin nahm im Jahr 2004 eine Berichtigung des Vorsteuerabzugs nach § 15 a UStG vor, weil für die nachträglichen Anschaffungs- und Herstellungskosten zum Zeitpunkt der Anwachsung seit dem Zugang noch keine zehn Jahre vergangen waren. Als Beginn des Berichtigungszeitraumes nach § 15a UStG berücksichtigte sie immer dann den 01.01. des betreffenden Jahres, wenn sich dadurch auch die AfA und damit auch die Mindestbemessungsgrundlage zum Beginn des jeweiligen Jahres erhöht hatte. In der USt-Erklärung 2004 vom 28.06.2005 gab die Klägerin einen Vorsteuerberichtigungsbetrag gem. § 15a UStG i. H. v. … EUR an. Auf die Berechnung der Klägerin (Bl. 7 USt-Akte) wird Bezug genommen.
Der Beklagte führte bei der Klägerin eine Außenprüfung bzgl. Umsatzsteuer 2004 durch. Der Prüfer stellte fest, dass die Klägerin als Beginn des Berichtigungszeitraumes gemäß § 15a UStG für die unbeweglichen Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens jeweils den 01.01. eines jeden Kalenderjahres zugrunde gelegt habe. Nach Auffassung des Prüfers beginne der Zeitraum indes erst im Zeitpunkt der erstmaligen Nutzung, d. h. mit Beendigung der jeweiligen Maßnahmen...