rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuerschuld als Masseverbindlichkeit bei vor Einführung des § 35 Abs. 2 InsO für eine gesamte Arztpraxis ausgesprochener sog. unechter Freigabe. - Revision eingelegt (Aktenzeichen des BFH: VIII R 35/11)
Leitsatz (redaktionell)
1. Hat der Insolvenzverwalter in einem vor dem 1. Juli 2007 eröffneten Insolvenzverfahren der Fortführung der Arztpraxis des Insolvenzschuldners zugestimmt und den nichtpfändbaren Neuerwerb aus dieser Tätigkeit ebenso freigegeben wie ein Bankkonto des Insolvenzschuldners sowie dessen zum Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung offen stehende Honoraransprüche, ist die Einkommensteuer, die auf Honoraransprüche des Insolvenzschuldners entfällt, als Masseverbindlichkeit anzusehen.
2. Die entsprechende Einkommensteuer ist in diesem Fall zumindest als eine gem. § 55 Abs. 1 Nr. 1 HS 2 InsO in anderer Weise durch die Verwaltung der Insolvenzmasse begründete Masseverbindlichkeit zu werten.
Normenkette
InsO § 55 Abs. 1 Nr. 1 HS. 2, § 35 Abs. 2; EStG § 18 Abs. 1 Nr. 1; InsO § 295 Abs. 2, § 80
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
I.
Streitig ist, ob eine in dem Streitjahr 2007 begründete Einkommensteuerschuld als Masseverbindlichkeit zu beurteilen ist.
Mit Beschluss des Amtsgerichts … (Insolvenzgericht) vom … 2006 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen des … (K) eröffnet und der Kläger zum Insolvenzverwalter bestellt. K ist niedergelassener praktischer Arzt und betreibt seit … eine Arztpraxis in … (Praxis).
Der Kläger kam nach Prüfung der Sach- und Rechtslage zu dem Ergebnis, dass die aus dem Weiterbetrieb der Praxis zu erwartenden Einnahmen nicht zu einem Übererlös für die Gläubigerbefriedigung führen würden, es ihm jedoch nicht möglich sei, K die Weiterführung seiner selbstständigen Tätigkeit zu untersagen, so dass eine Betriebsstilllegung der Praxis faktisch ins Leere laufen würde. Nachdem sich K nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens geweigert hatte, seine bisherige selbstständige Tätigkeit aufzugeben (nicht zuletzt, um seinen Lebensunterhalt zu sichern), war sein Praxisinventar gemäß § 36 Abs. 1 Satz 1 Insolvenzordnung in der für das Streitjahr geltenden Fassung (InsO) i.V.m. § 811 Abs. 1 Satz 5 und 7 Zivilprozessordnung in der für das Streitjahr geltenden Fassung (ZPO) nicht pfändbar.
Der Kläger schloss deshalb, um – nach dem Klagevortrag – eine ordnungsgemäße Abwicklung des vorliegenden Insolvenzverfahrens zu ermöglichen, mit K eine Vereinbarung über die Fortführung der Praxis auf eigenes wirtschaftliches Risiko. In der entsprechenden Vereinbarung zwischen dem Kläger und K vom … (Vereinbarung; …) wurde u.a. entsprechend festgestellt, dass K die Praxis ab dem … fortführe und hierdurch keinerlei Verbindlichkeiten der Insolvenzmasse begründet würden. K verpflichtete sich in der Vereinbarung u.a. dazu, gegenüber dem Kläger quartalsweise eine Einnahmen-Überschuss-Rechnung abzugeben und den (im Einzelnen bestimmten) pfändbaren Neuerwerb an die Insolvenzmasse zu erstatten. Nachdem K zur Fortführung des Praxisbetriebes ein Bankkonto benötigte, gab der Kläger in der Vereinbarung u.a. das private Bankkonto des K (Konto) aus der Insolvenzmasse frei.
Der Beklagte (das Finanzamt) wurde vom Kläger mit Schreiben vom … 2006 (an das …; …) über die Fortführung der Praxis durch K sowie die Freigabe der Praxis aus der Insolvenzmasse informiert. Einer das Konto betreffenden Teilnahmeerklärung des K am Lastschrifteinzugsverfahren vom … 2007 stimmte der Kläger auf die entsprechende Anfrage des Finanzamts (Insolvenzstelle) mit Schreiben vom … zu (…).
Mit Schreiben vom … 2007 beantragte der Kläger beim Finanzamt, die mit dem gegenüber K ergangenen Vorauszahlungsbescheid über Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag vom … (…) in Höhe von … EUR festgesetzte Vorauszahlung auf die Einkommensteuer ab dem Kalendervierteljahr 1/2007 auf 0 EUR herabzusetzen. Zur Begründung verwies er darauf, dass die Praxis aus der Insolvenzmasse freigegeben worden sei und K sie deshalb außerhalb des Insolvenzverfahrens weiterführe. Die festgesetzten Einkommensteuervorauszahlungen ab dem Kalendervierteljahr 1/2007 beträfen deshalb K persönlich und nicht die Insolvenzmasse.
Das Finanzamt lehnte den Antrag des Klägers auf Herabsetzung der Einkommensteuervorauszahlung ab dem Kalendervierteljahr 1/2007 mit Bescheid vom … (…) ab. Zur Begründung verwies es darauf, dass die Freigabe der Praxis durch den Kläger aus der Insolvenzmasse lediglich dazu führe, dass die im Rahmen der Praxisfortführung anfallende Umsatzsteuer insolvenzfrei und damit gegenüber K festzusetzen sei; dies gelte jedoch nicht für die Einkommensteuer. Mit Bescheid vom … (…) lehnte es auch die zwei weiteren Anträge des Klägers vom … und vom … auf Herabsetzung der Einkommensteuervorauszahlung ab dem Kalendervierteljahr 2 bzw. 3/2007 auf 0 EUR ab.
Während des Einspruchsverfahrens zeigte der Kläger die Masseunzulänglichkeit an (vgl. …).
Der gegen den...