rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorenthaltung einer Steuervergünstigung gegenüber einer Kapitalgesellschaft mit Sitz und Geschäftsleitung in einem anderen EU-Mitgliedstaat unvereinbar mit Gemeinschaftsrecht
Leitsatz (redaktionell)
Es verstößt gegen die gemeinschaftsrechtliche Niederlassungsfreiheit, eine Kapitalgesellschaft mit Sitz und Geschäftsleitung in einem anderen Mitgliedstaat der EU (hier: Italien) von einer Steuervergünstigung (hier dem Schachtelprivileg hinsichtlich einer inländischen Tochterkapitalgesellschaft im Rahmen der beschränkten Vermögensteuerpflicht) auszuschließen. Dies gilt unabhängig davon, ob die Anteile an der ausländischen Obergesellschaft im Ansässigkeitsstaat tatsächlich einer Vermögensbesteuerung unterliegen.
Normenkette
EG Art. 43, 48; BewG 1974 § 102 Abs. 1, § 121 Abs. 2 Nr. 4; VStG § 2 Abs. 1 Nr. 2
Tenor
1. Unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 26. August 2003 und Änderung des Vermögensteuerbescheids vom 26. August 1994 wird die Vermögensteuer auf 9.522 DM (4.868,52 EUR) herabgesetzt.
2. Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.
3. Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren wird für notwendig erklärt.
4. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Das beklagte Finanzamt darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten der Klägerin die Vollstreckung abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
5. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
I.
Streitig ist die Vermögensteuerpflicht einer italienischen Kapitalgesellschaft bezüglich der Anteile an ihrer inländischen Tochtergesellschaft.
Die Klägerin ist eine Aktiengesellschaft italienischen Rechts. Sie hält als Alleingesellschafterin sämtliche Anteile an der Firma L GmbH, (im Folgenden: GmbH). Wegen dieser Beteiligung wurde die Klägerin vom beklagten Finanzamt (FA) ab 1. Januar 1986 der beschränkten Vermögensteuerpflicht unterworfen (§ 2 Abs. 1 und 2 des Vermögensteuergesetzes – VStG –, § 121 Abs. 2 Nr. 4 des Bewertungsgesetz – BewG –).
Das FA setzte die Vermögensteuer zum 1. Januar 1986 mit Bescheid vom 22. Oktober 1986 zunächst auf 9.522 DM fest. Der Bescheid wurde von der Klägerin nicht angefochten. Aufgrund geänderter Mitteilungen über den gemeinen Wert der Anteile an der GmbH erließ das FA zunächst am 3. August 1994 einen Änderungsbescheid, den es bereits am 26. August 1994 erneut änderte. Im Bescheid vom 26. August 1994 setzte das FA die Vermögensteuer nunmehr auf 10.194 DM fest.
Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin Einspruch ein und machte geltend, im Hinblick auf die Niederlassungsfreiheit der Art. 43 und 48 des EG-Vertrags (EGV) dürfe sie nicht vom Schachtelprivileg nach § 102 BewG ausgeschlossen werden.
Der Einspruch hatte keinen Erfolg. Zur Begründung bezog sich das FA im Wesentlichen auf das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 31. Oktober 1990 II R 176/87 (BStBl II 1991, 161). Das FA führte aus, dieses Urteil handle genau den hier streitigen Fall ab. Wegen der Einzelheiten wird auf die Einspruchsentscheidung vom 26. August 2003 Bezug genommen.
Mit der dagegen erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Wegen der Klagebegründung und der gestellten Anträge wird auf den Schriftsatz vom 25. September 2003 verwiesen.
Das FA beantragt,
die Klage abzuweisen.
Während des Klageverfahrens hat die Klägerin ihren Klageantrag eingeschränkt. Sie beantragt nunmehr, die Vermögensteuer auf 9.522 DM (= 4.868,52 EUR) herabzusetzen.
Die Beteiligten haben – auch für den Fall der Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter – übereinstimmend auf mündliche Verhandlung verzichtet.
Entscheidungsgründe
II.
1. Die Klägerin konnte ihr Klagebegehren ohne weiteres einschränken. Insoweit liegt eine Klageänderung nicht vor (vgl. Tipke/Kruse, Kommentar zur Abgabenordnung –AO–/Finanzgerichtsordnung –FGO–, § 67 FGO Tz. 3).
2. Soweit die Klägerin ihr Klagebegehren aufrechterhalten hat, ist die Klage auch begründet.
Das FA hat die Vermögensteuerpflicht der Klägerin bezüglich der Anteile an der inländischen GmbH zu Unrecht bejaht.
a) Als eine im Ausland ansässige Körperschaft unterlag die Klägerin am maßgeblichen Stichtag (1. Januar 1986) allerdings der beschränkten Vermögensteuerpflicht (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 VStG), die sich auf das Inlandsvermögen i.S. des § 121 Abs. 2 Nr. 4 BewG erstreckt. Dazu gehören Anteile an einer GmbH, wenn diese Sitz oder Geschäftsleitung im Inland hat und der Gesellschafter am Kapital der GmbH mindestens zu einem Viertel (nunmehr: einem Zehntel) unmittelbar oder mittelbar beteiligt ist.
Im Streitfall beträgt die Beteiligung der Klägerin 100 v.H. des Stammkapitals der GmbH. Danach gehören die Anteile der Klägerin an der GmbH zum Inlandsvermögen der Klägerin i.S. von § 121 Abs. 2 Nr. 4 BewG. Gegen die Höhe des Wertansatzes sind weder Einwendungen erhoben noch sonst ersichtlich.
b) Nach dem im Streitfall anzuwendenden Doppelbesteuerungsabkommen mit Italien (DBA Italien 1925) sind die Anteile auch nicht von der inländisch...