rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Schätzung von Trinkgeldern einer Serviererin in einem gutbürgerlichen Speiselokal; hohe von der Serviererin erzielte Umsätze als "neue Tatsache"
Leitsatz (redaktionell)
1. Entfallen auf eine Serviererin in einem gutbürgerlichen Speiselokal in guter Lage im südbayerischen Raum jährliche Entgelte für Speis und Trank zwischen 200000 und 250000 DM, ist die vom FA vorgenommene Trinkgeldschätzung mit 2,5 % des Umsatzes eher zu niedrig als zu hoch (Anschluss an Finanzgericht des Saarlandes vom 4.7.1995 1 K 87/95, EFG 1995, 910).
2. Erfährt das FA erst aufgrund einer Lohnsteueraußenprüfung in dem Lokal von der Höhe der von der Serviererin erzielten Umsätze, ist es aufgrund einer neuen Tatsache nach § 173 Abs.1 Nr.1 AO 1977 zu einer Änderung der bestandskräftigen Einkommensteuerbescheide der Serviererin berechtigt.
Normenkette
AO 1977 § 162; EStG § 19 Abs. 1 Nr. 1; AO 1977 § 173 Abs. 1 Nr. 1; EStG § 3 Nr. 51
Gründe
I.
Die seit 1990 verheiratete Klägerin war in den Streitjahren 1991 – 1993 als Serviererin in einer ... Gaststätte in P. beschäftigt (Zur Lage des Lokals des Lokals siehe den Lageplan, Bl. 91 FG-Akte).
Nach der vorgelegten Speisekarte (Bl. 30–32 FG-Akte) liegen die Preise für Speisen im Durchschnitt unter der 15-DM-Grenze, wobei die Endbeträge in aller Regel auf ..., 90 DM lauten. Für Biere werden Preise von 2,60 DM für ¼ l Helles, 4,30 DM für ½ l Helles sowie je 4,50 DM für ½ l Weißbier (hell und dunkel) verlangt.
Auf die Klägerin entfielen in den Streitjahren folgende Entgelte für Speis und Trank (in DM):
1991 |
236.927 |
1992 |
242.508 |
1993 |
208.680 |
Der Beklagte (das Finanzamt) veranlagte die Klägerin für die Streitjahre bestandskräftig zur Einkommensteuer (ESt); seit 1993 wird sie zusammen veranlagt.
Auf Grund einer Kontrollmitteilung (KM) des Lohnsteueraußenprüfers bei der Arbeitgeberfirma vom 16. August 1994 (Bl. 14 ESt-Akte) erfuhr das FA die Höhe der von der Klägerin erzielten Umsätze. Ferner teilte der Prüfer mit, daß nach den vorliegenden Trinkgelderklärungen das Servicepersonal faßt ausschließlich Trinkgeldzahlungen erhalten habe, die unter dem Freibetrag von 2.400 DM gelegen hätten. Dies widerspreche der Lebenserfahrung. Der Prüfer legte seiner Schätzung einen Prozentsatz von 2,5 zugrunde, und zwar (in DM):
1991 |
5.923 |
1992 |
6.062 |
1993 |
5.217 |
Dem Prüfer folgend änderte das FA die Steuerfestsetzungen der Streitjahre nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO). Der dagegen eingelegte Einspruch blieb erfolglos (s. die Einspruchsentscheidungen -EEen- vom 17. Juni 1997, Bl. 20 f, 22 ff FG-Akte).
Mit ihrer Klage macht die Klägerin geltend, daß die Voraussetzungen des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO nicht vorgelegen hätten. Außerdem sei ein Prozentsatz von 2,5 der erzielten Umsätze viel zu hoch gegriffen angesichts der Lage des Lokals, des Kundenkreises (arbeitende Bevölkerung, Touristen) und des Umstands, daß die Frühstücksgäste des angegliederten Hotels kein Trinkgeld zahlen würden.
Wegen der näheren Einzelheiten verweist der Einzelrichter auf die Schriftsätze vom 17. Juli und 14. November 1997 sowie 07. Februar und 25. April 2000.
Die Klägerin beantragt,
die Berichtigungsbescheide 1991 – 1993 vom 15. Januar 1995 und die EEen vom 17. Juni 1997 aufzuheben.
Das FA beantragt,
die Klage abzuweisen.
Es tritt in den Schriftsätzen vom 27. Oktober 1997 und 02. März 2000 der Argumentation der Klägerin entgegen.
Der Einzelrichter hatte zum 14. Februar 2000 einen Erörterungstermin anberaumt und das persönliche Erscheinen der Klägerin angeordnet. Die Klägerin ist zu diesem Termin aus den im Schreiben vom 18. Juni 2000 genannten Gründen (Bl. 73 FG-Akte; siehe auch das Schreiben des Arbeitgebers vom 17. Januar 2000, Bl. 68 FG-Akte) nicht erschienen. Die Prozeßbevollmächtigte beantragte, im schriftlichen Verfahren zu entscheiden.
Entgegen den Angaben in ihrem Schreiben vom 28. November 1994 (Bl. 17 ESt-Akte) konnte die Klägerin keinerlei Aufzeichnungen vorlegen.
II.
Die Klage ist unbegründet.
1. Zurecht hat das FA die ESt-Bescheide 1991 – 1993 nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO berichtigt und die freiwillig gezahlten Trinkgelder in zutreffender Höhe geschätzt.
a) Entgegen den Ausführungen des FG Nürnberg im nicht veröffentlichten Urteil vom 31. Januar 1996 V 32/95 (Bl. 11–19 FG-Akte) sind die Voraussetzungen einer Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO hier gegeben. Neue Tatsache sind die zur Schätzung berechtigenden, unstreitigen Umsätze, die die Klägerin in den Streitjahren erzielte (so das Schleswig-Holsteinische FG im Urteil vom 28. August 1997 V 161/97, Entscheidungen der Finanzgerichte -EFG- 1998, 571).
Auch im übrigen kann der Einzelrichter den Ausführungen des FG Nürnberg V 32/95 nicht folgen. Denn nach seiner Überzeugung ist die Schätzung des FA mit 2,5 % eher zu niedrig ausgefallen.
Das FA war zur Schätzung nach § 162 AO befugt, auch wenn eine Aufzeichnungsverpflichtung der Klägerin nicht besteht. Dies führt der Bundesfinanzhof (BFH) im Urteil vom 23. Oktober 1992 VI R 62/88 (BFHE 169, 432, BStBl II 1993, 117) ...