Entscheidungsstichwort (Thema)
Rückgängigmachung eines Erwerbsvorgangs
Leitsatz (redaktionell)
1. § 16 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG ist über den Wortlaut hinaus auch anwendbar, wenn auf einen steuerbaren Erwerb durch Anteilsvereinigung nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG ein Rückerwerb folgt, der zwar für sich nicht steuerbar ist, der aber bewirkt, dass das für die Steuerbarkeit der Anteilsvereinigung maßgebende Quantum von 95 % unterschritten wird.
2. Wird der Vertrag über die Rückgängigmachung eines Erwerbsvorgangs, der zu einer – bestandskräftig der Grunderwerbsteuer unterworfenen – Anteilsvereinigung im Sinne von § 1 Abs. 3 GrEStG geführt hatte, seinerseits rückgängig gemacht, liegt darin keine Rückgängigmachung im Sinne von § 16 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG, sondern ein (erneuter) Erwerbsvorgang.
Normenkette
GrEStG § 16 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 5, § 1 Abs. 3 Nr. 1
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
I.
Streitig ist, ob das beklagte Finanzamt (FA) den Antrag, die Grunderwerbsteuerfestsetzung gem. § 16 Abs. 2 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) aufzuheben, zu Recht abgelehnt hat.
An der Y AG mit Sitz und Grundbesitz in München waren zunächst die Klägerin (eine GmbH) i.H.v. 94,9 %, sowie die X GmbH i.H.v. 5,1 % beteiligt.
Die Klägerin als Erwerberin und die X GmbH als Veräußerin schlossen am 20.12.2011 einen Aktienkauf- und Abtretungsvertrag über 3.213 Aktien (= 5,1 %) der Y AG. Der Kaufpreis betrug 1.754.298 EUR. Durch den Kauf vereinigten sich in der Hand der Klägerin 100 % der Anteile an der Y AG. Die Anzeige des Erwerbsvorgangs ging am 31. Januar 2012 beim FA ein.
Mit Aktienrückkauf- und Rückabtretungsvertrag vom 10.10.2012 wurde der Aktienkauf- und Abtretungsvertrag vom 20.12.2011 rückabgewickelt, so dass die X GmbH wieder 3.213 Aktien (5,1 %) der Y AG hielt.
Mit Bescheid vom 8.4.2013 setzte das FA gegen die Klägerin für den gem. § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG steuerpflichtigen Erwerb mit Vertrag vom 20.12.2011 aus einer Bemessungsgrundlage i.H.v. 63.082.000 EUR Grunderwerbsteuer i.H.v. 2.207.870 EUR fest.
Den Antrag auf Aufhebung der für den Erwerb vom 20.12.2011 festgesetzten Grunderwerbsteuer gem. § 16 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG lehnte das FA wegen der Nichteinhaltung der Anzeigefrist gem. § 16 Abs. 5 GrEStG ab. Der Grunderwerbsteuerbescheid ist bestandskräftig. Die Ablehnung des Antrags auf Aufhebung der Grunderwerbsteuer ist nicht mehr anfechtbar.
Mit Vertrag vom 8.4.2014 machten die Klägerin und die X GmbH den Aktienrückkauf- und Rückabtretungsvertrag vom 10.10.2012 mit sofortiger Wirkung rückgängig.
Mit Schreiben vom 14.4.2014 zeigte die Klägerin dem FA die Rückgängigmachung des Vertrags vom 10.10.2012 mit Vertrag vom 8.4.2014 an.
Mit Bescheid vom 27.5.2016 setzte das FA für den Erwerb mit Vertrag vom 8.4.2014 gegen die Klägerin aus einer Bemessungsgrundlage i.H.v. 63.082.000 EUR Grunderwerbsteuer i.H.v. 2.207.870 EUR fest.
Hiergegen legte die Klägerin mit Schreiben vom 15.6.2016 Einspruch ein. Der Bescheid sei gem. § 16 Abs. 2 GrEStG aufzuheben. Mit Vertrag vom 8.4.2014 sei der Erwerb vom 10.10.2012 innerhalb der Frist des § 16 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG rückabgewickelt worden.
Nachdem das zuständige Feststellungsfinanzamt den Grundbesitzwert für das Grundstück der Y AG mit Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung des Grundbesitzwerts auf den 8.4.2014 i.H.v. 76.451.221 EUR festgestellt hatte, setzte das FA mit gem. § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) geändertem Bescheid vom 4.1.2011 die Grunderwerbsteuer für den Erwerb der Klägerin mit Vertrag vom 8.4.2014 auf 2.675.792 EUR herauf.
Den Einspruch gegen den Grunderwerbsteuerbescheid vom 27.5.2016 in Gestalt des Änderungsbescheides vom 4.1.2019 wies das FA mit Einspruchsentscheidung vom 31.5.2022 als unbegründet zurück.
Zur Begründung der fristgerecht eingereichten Klage trägt die Klägerin u.a. Folgendes vor: Die Voraussetzungen des § 16 Abs. 2 GrEStG seien im Streitfall erfüllt. Der Erwerbsvorgang mit Vertrag vom 10.10.2012 (Ersterwerb der X GmbH) sei mit Vertrag vom 8.4.2014 rückabgewickelt worden. Der Bezug zum Vertrag vom 20.12.2011 sei in diesem Zusammenhang irrelevant. Nur weil der vorausgegangene Ersterwerb der X GmbH vorgelegen habe, habe es zu dessen Rückabwicklung mit Vertrag vom 8.4.2014 kommen können. Unstreitig sei durch die Vollziehung des Vertrages vom 08.04.2014 der ursprüngliche Zustand, der nach dem ersten Vertrag vom 20.12.2011 bestanden habe, wiederhergestellt worden. Wirtschaftlich habe sich an der Situation, wie sie nach dem Vertrag vom 20.12.2011 bestanden habe nichts geändert. Bei rein wirtschaftlicher Betrachtung sei die Erhebung der Grunderwerbsteuer auf den Vorgang vom 08.04.2014 eine Doppelerhebung, da der (fiktive) Übergang des im Eigentum der Y AG stehenden Grundbesitzes bereits im Rahmen des Aktienkauf- und Abtretungsvertrages vom 20.12.2011 besteuert worden sei. Im Streitfall sei es unbillig, denselben Vorgang doppelt zu erfassen und die Grunderwerbsteuer in doppelter Höhe...