Entscheidungsstichwort (Thema)
Casting-Direktor ist freiberuflich tätig
Leitsatz (redaktionell)
1. Ein Casting-Direktor, dessen Aufgabe es ist, ohne Weisungsrecht etwa des Regisseurs oder der Produktionsfirma zu dem jeweils im Drehbuch beschriebenen Rollencharakter den/die bestgeeignete/n Schauspieler/in auszuwählen, übt keine gewerbliche, sondern eine freiberufliche Tätigkeit aus.
2. Inwieweit die Auswahl der tatsächlich in einem Film agierenden Schauspieler bestimmenden Einfluss auf dessen künstlerischen Wirkungsgrad nimmt und für sich gesehen als künstlerische Betätigung zu werten ist, betrifft Erkenntnisse der allgemeinen Lebenserfahrung, die jedermann verfügbar sind. Das Gericht kann über diese Frage daher aus eigener Sachkunde ohne Einschaltung eines Sachverständigen entscheiden.
Normenkette
EStG § 15 Abs. 2 S. 1, § 18 Abs. 1 Nr. 1; FGO § 96 Abs. 1 S. 1
Tenor
1. Die Bescheide über den Gewerbesteuermessbetrag 2006 und 2007 vom jeweils 26. November 2008 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 25. September 2009 werden aufgehoben.
2. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Das Urteil ist im Kostenpunkt für die Klägerin vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten der Klägerin die Vollstreckung abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
4. Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren war notwendig.
Tatbestand
I.
Die Beteiligten streiten, ob es sich bei der selbständig ausgeübten Tätigkeit der Klägerin als Casting-Direktorin um eine gewerbliche oder künstlerische im Sinne des § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 Einkommensteuergesetz – EStG – handelt.
Die Klägerin hat nach einem 1-jährigen Praktikum bei einer Film- und Fernsehproduktionsgesellschaft Theaterwissenschaften, Germanistik, Publizistik und Literaturgeschichte studiert, das Studium aber nicht abgeschlossen. Sie verfügt über eine abgeschlossene Berufsausbildung als Buchhändlerin. Nicht zuletzt über ihren Ehemann, einen Werbe- und Filmemacher, behielt sie Kontakt zur Theater und Filmszene und wuchs, aufbauend auf ihrem Gespür für die schauspielerische Eignung eines Menschen für eine bestimmte Filmfigur, in die Casting-Branche hinein.
Für ihre Tätigkeit als Casting-Direktorin hat die Klägerin den Deutschen Casting-Preis für die Besetzung des Films X erhalten.
Die Aufgabe eines Casting-Direktors wird vom Bundesverband Casting e.V. (www.castingverband.de) beschrieben als die Herstellung des Kontakts zwischen Schauspieler, Regie und Produktion. Der Vertrag des Casting-Direktors endet mit der Besetzung des Schauspielers. Als Voraussetzung für die Erfüllung dieser Aufgabe wird eine weitreichende Kenntnis der Theater-, Film- und Fernsehbranche in inhaltlicher und formaler Auseinandersetzung genannt. Die Schauspielerszene sollte, mit Schwerpunkt auf das jeweilige Land, umfassend bekannt sein. Aufbau und Pflege des Nachwuchses haben hohe Priorität. Das Vermögen, Talente und Trends zu erkennen, gehört zu den maßgeblichen Eigenschaften des Casting-Direktors. Ein Archiv sollte vorgehalten werden.
Eine verbindlich festgelegte Ausbildung zum Casting-Direktor existiert nicht. Der Bundesverband Casting e.V. ist bestrebt, die Casting-Tätigkeit als regelmäßigen und eigenständigen Teil in die Regieausbildung an den Filmhochschulen zu integrieren und in den Produktionsklassen „Casting” als festen Bestandteil des Lehrplans zu etablieren.
Wikipedia.Org beschreibt Casting (aus dem Englischen to cast = jmdn. für eine Rolle vorsehen) als den Prozess der Auswahl von Schauspielern, Tänzern, Sängern, Fotomodellen und anderen Künstlern in der Phase der Vorproduktion von Inszenierungen (Theater, Oper, Zirkus, Konzerte), Filmaufnahmen (Kinofilm, Fernsehfilm, Werbefilm, Musikvideo) und Fotoaufnahmen (Katalog, Zeitschriften, Poster, etc.). Im Bereich der Film- und Fernsehproduktion wird eine Vorauswahl der späteren Besetzung mit Darstellern in der Regel von CastingDirektoren getroffen, die ihre Vorschläge dann den jeweiligen Regisseuren und Produzenten unterbreiten. Über die endgültige Besetzung wird nach dem Vorsprechen der im Laufe des Castings in die engere Auswahl gekommenen Darsteller entschieden. Die Vermittlung von Darstellerinnen und Darstellern für das Casting erfolgt dabei zumeist über CastingAgenturen. Die sich aus dem Casting ergebende Schauspielerbesetzung wird Cast genannt.
Die Tätigkeit der Klägerin als Casting-Direktorin stellt sich nach den vorgelegten Unterlagen für ihren Fall speziell wie folgt dar:
Auftraggeber der Klägerin ist immer eine Filmproduktionsgesellschaft. Vertragsgegenstand ist die Durchführung des Castings zur Besetzung sämtlicher Rollen, nicht jedoch eine Besetzung der Komparsen. Der Klägerin wird das Drehbuch in der am weitesten fortgeschrittenen Version zur Verfügung gestellt. Durch mehrmaliges Lesen des Drehbuchs erarbeitet sich die Klägerin ein Rollenbild der zu besetzenden Person. Vertraglich ist sie hierzu in Form der Recherche zu den ei...