Entscheidungsstichwort (Thema)
Abzweigung des Kindergeldes an Sozialleistungsträger bei Heimunterbringung des Kindes. Ermessensunterschreitung durch die entscheidungsbefugte Behörde
Leitsatz (redaktionell)
1. Ist das Kind auf Kosten eines Sozialleistungsträgers in einem Heim untergebracht und ist der Kindergeldberechtigte, da er selbst Sozialleistungen bezieht, mangels Leistungsfähigkeit nicht unterhaltspflichtig, so ist über die Abzweigung des Kindergeldes nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden. Dabei ist abzuwägen, ob angesichts der vollständigen Tragung aller Lebenshaltungskosten des Kindes durch den Sozialleistungsträger noch Raum für Unterhaltsleistungen des Kindergeldberechtigten blieb, und in welchem Umfang solche Leistungen zu berücksichtigen wären.
2. Im Falle der Ermessensunterschreitung darf das Gericht nicht sein eigenes Ermessen an die Stelle des Ermessens der entscheidungsbefugten Behörde setzen, sondern verpflichtet diese, unter sachgerechter Ausübung ihres Ermessensspielraums erneut zu bescheiden.
Normenkette
EStG 2002 § 74 Abs. 1 Sätze 1, 3-4, Abs. 2; FGO § 102 S. 2, § 101 S. 2
Nachgehend
Tenor
1. Der Bescheid vom 28. Juni 2005 und die hierzu ergangene Einspruchsentscheidung vom 29. März 2006 werden insoweit aufgehoben, als darin die Abzweigung des Kindergeldes gegenüber dem Kläger für die Monate Juli 2005 bis Februar 2006 abgelehnt wird. Die Beklagte wird verpflichtet, über den Antrag des Klägers auf Abzweigung des Kindergeldes für A für die Monate Juli 2005 bis Februar 2006 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.
2. Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen werden nicht erstattet.
3. Das Urteil ist im Kostenpunkt für den Kläger vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten des Klägers die Vollstreckung abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Tatbestand
Der Kläger gewährt seit dem 26. Januar 2005 für die am xx.xx.1991 geborene A Hilfe gemäß §§ 27, 34 Sozialgesetzbuch (SGB) VIII in Form einer Heimunterbringung im Jugendhaus D und kommt für sämtliche Kosten auf.
Die Mutter von A (die Beigeladene), befand sich von Mitte Januar 2005 bis Mitte Juni 2005 in Haft. Sie erbrachte wegen Leistungsunfähigkeit keine Unterhaltszahlungen. Auch nach der Haftentlassung war sie leistungsunfähig und bezog Leistungen nach dem SGB II. Seit 5. Februar 2007 befindet sie sich wieder in Haft.
Der Kläger stellte am 27. Januar 2005 bei der zuständigen Familienkasse (FK) einen Antrag auf Auszahlung von Sozialleistungen nach § 48 SGB I ab 14. Januar 2005 für A. Mit Schreiben vom 9. Mai 2005 beantragte der Kläger die Abzweigung von Kindergeld gemäß § 74 Abs.1 Einkommensteuergesetz (EStG). Am 22. Juni 2005 beantragte die Beigeladene die Festsetzung von Kindergeld für A.
Mit Bescheid vom 28. Juni 2005 zweigte die FK das Kindergeld für A für den Zeitraum Februar 2005 bis Juni 2005 an den Kläger ab, da die Beigeladene mangels Leistungsfähigkeit keinen Unterhalt für A geleistet habe. Im Begleitschreiben an den Kläger teilte die FK mit, dass die Beigeladene ab Juli 2005 ihre Unterhaltspflicht gegenüber A nicht verletze, da A regelmäßig am Wochenende in deren Haushalt zurückkehre.
Der Kläger legte gegen den Bescheid vom 28. Juni 2005 Einspruch ein, soweit damit die Abzweigung des Kindergelds für A ab Juli 2005 abgelehnt wurde. Am 30. Januar 2006 teilte der Kläger der Beigeladenen mit, dass sie einen Kostenbeitrag für A in Höhe des Kindergeldes gemäß § 94 Abs. 3 SGB VIII zu leisten habe. Mit Einspruchsentscheidung vom 29. März 2006 änderte die FK den Bescheid vom 28. Juni 2005 dahingehend, dass ab März 2006 ein Erstattungsanspruch gemäß § 74 Abs. 2 EStG in Höhe von 154 EUR für A gewährt werde. Im Übrigen wies sie den Einspruch als unbegründet zurück. Zur Begründung der hiergegen erhobenen Klage trägt der Kläger im Wesentlichen vor, dass die Beigeladene auch im Zeitraum Juli 2005 bis Februar 2006 wegen wirtschaftlicher Leistungsunfähigkeit keine Unterhaltsleistungen für A erbracht habe. Für die Unterbringung von A im Jugendhaus D würde pro Tag ein Betrag von 24,32 EUR gezahlt. Zusätzlich werde noch ein Taschengeld von 28,33 EUR pro Monat gewährt, Erstausstattungen bezahlt und Kosten für die pädagogische Unterstützung i. H. v. ca. 3.000 EUR pro Monat übernommen. Für die Verpflegung von A an den Heimfahrtswochenenden werde auf Antrag Verpflegungsgeld an sie ausbezahlt, außerdem würden alle Fahrtkosten übernommen. Damit wäre der gesamte Lebensbedarf des Kindes auch an den Wochenenden abgedeckt, ein sog. ungedeckter Bedarf bestünde nicht.
Der Kläger beantragt,
unter teilweiser Aufhebung des Bescheids vom 28. Juni 2005 und der Einspruchsentscheidung vom 29. März 2006 die Beklagte zu verpflichten, über den Antrag auf Abzweigung des Kindergelds für das Kind A für die Monate Juli 2005 bis Februar 2006 ...