Entscheidungsstichwort (Thema)
Kindergeldberechtigung des in Deutschland von Sozialleistungen lebenden Vaters für seine in Polen bei der Mutter lebenden Tochter
Leitsatz (redaktionell)
1) Ein in Deutschland von Leistungen nach SGB II lebender Kindesvater hat für seine bei der Kindesmutter in Polen lebenden Kinder, für die in Polen keine Familienleistungen gezahlt werden, Anspruch auf deutsches Kindergeld.
2) Die sog. Familienbetrachtung in Art. 60 Abs. 1 Satz 2 der DVO (EG) Nr. 987/2009 steht dem nicht entgegen.
Normenkette
EStG §§ 63-64; VO (EG) Nr. 883/2004 Art. 60, 67-68; DVO (EG) Nr. 987/2009 Art. 60; EStG § 62
Nachgehend
Tatbestand
Die Beteiligten streiten noch darüber, ob dem Kläger für den Zeitraum von Mai 2010 bis November 2010 Kindergeld für seine am 00.00.2006 geborene Tochter M zusteht.
Der Kläger ist deutscher Staatsangehöriger und wohnhaft in L. Im streitigen Zeitraum war er nicht erwerbstätig und bezog Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Sozialgesetzbuch (SGB II). Seine Tochter M, die vom 01.12.2006 bis zum 01.10.2009 unter der Adresse des Klägers in Deutschland gemeldet war, lebte im streitigen Zeitraum zusammen mit ihrer Mutter in Polen. Der Kläger und die Mutter von M, Frau B Q, sind und waren nicht verheiratet. Der Kläger hat nach eigenen Angaben aufgrund von Streitigkeiten derzeit keinen Kontakt zur Mutter seiner Tochter. Nach seinem Kenntnisstand betreibe diese zusammen mit ihrer Mutter und ihrem Bruder einen Großhandel mit Lkw-Teilen und habe im streitigen Zeitraum kein Kindergeld für M in Polen bezogen.
Ausweislich der auf Anforderung der Beklagten für den Zeitraum vom 01.06.2009 bis zum 30.09.2010 ausgestellten Bescheinigung E411 war die Mutter von M ab Januar 2010 als Selbständige erwerbstätig. Ob ihr ein Kindergeldanspruch in Polen zustand, ergibt sich aus der Bescheinigung nicht. Auf der Bescheinigung wird allerdings bestätigt, dass sie in Polen keinen Antrag auf Zahlung von Kindergeld gestellt hat. Laut einer von dem Kläger eingereichten Bescheinigung des städtischen Zentrums für Sozialhilfe E vom 22.03.2010 sind für M bis zu dem Tag der Ausstellung der Bescheinigung keine Familienleistungen beantragt worden. Nur im September 2006 sei einmalig eine Beihilfe aufgrund der Geburt von M gezahlt worden.
Der Kläger erhielt in Deutschland für seine Tochter M zunächst fortlaufend Kindergeld. Am 08.04.2010 stellte er einen Antrag auf deutsches Kindergeld –Ausland–, in dem er erstmals angab, dass sich seine Tochter in Polen aufhalte. Die Beklagte hob daraufhin mit Bescheid vom 20.10.2010 die Kindergeldfestsetzung ab Mai 2010 auf. Zur Begründung führte sie aus: Das Kindergeld sei an denjenigen Elternteil zu zahlen, der nach § 64 des Einkommensteuergesetzes (EStG) kindergeldberechtigt sei. Dies gelte nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) auch dann, wenn dieser Elternteil selbst nicht den deutschen Rechtsvorschriften unterliege. Kindergeldberechtigt sei daher im Streitfall nicht der Kläger, sondern die Mutter des Kindes.
Der Kläger legte gegen diesen Bescheid am 28.10.2010 Einspruch ein. Mit Einspruchsentscheidung vom 09.11.2010 wies die Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück.
Am 25.11.2010 hat der Kläger daraufhin die vorliegende Klage erhoben. Gegenstand der Klage war zwischenzeitlich auch die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung und die Rückforderung von Kindergeld für Juni 2009 bis April 2010. Die Beklagte hat dem Klagebegehren insoweit mit Bescheid vom 25.05.2011 entsprochen, woraufhin die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt haben. Der Senat hat mit Beschluss vom 13.08.2013 das die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung und die Rückforderung von Kindergeld für Juni 2009 bis April 2010 betreffende Verfahren abgetrennt (Aktenzeichen 2 K 2540/13 Kg,AO) und über die Kosten des abgetrennten Verfahrens entschieden.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 20.10.2010 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 09.11.2010 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung verweist sie auf die Einspruchsentscheidung.
Am 00.00.2012 ist über das Vermögen des Klägers das Insolvenzverfahren eröffnet worden. Das Insolvenzverfahren ist noch nicht beendet. Der Insolvenzverwalter hat mit Schriftsatz vom 08.08.2013 erklärt, dass er das vorliegende Verfahren nicht aufnehme. Der Kläger hat das Verfahren daraufhin mit Schriftsatz vom 12.08.2013 aufgenommen.
Die Beteiligten haben mit Schriftsätzen vom 06.06.2011 (die Beklagte) und vom 12.08.2013 (der Kläger) auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.
Entscheidungsgründe
Der Senat entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten nach § 90 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ohne mündliche Verhandlung.
Das Verfahren ist trotz des noch nicht abgeschlossenen Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Klägers nicht mehr nach § 155 FG...