Entscheidungsstichwort (Thema)
Änderung einer Prognoseentscheidung nach § 70 Abs. 4 EStG
Leitsatz (redaktionell)
Die Änderung einer bestandskräftigen Kindergeldfestsetzung nach § 70 Abs. 4 EStG ist auch dann möglich, wenn die Korrektur auf einer geänderten oder neu berücksichtigten verfassungsrechtlichen Rechtsprechung - hier zur Berücksichtigung von dem Kind gezahlter Sozialversicherungsbeiträge nach der Verfassungsgerichtsentscheidung vom 11.01.2005, 2 BvR 167/02 - beruht.
Normenkette
EStG § 70 Abs. 4
Tatbestand
Streitig ist die Änderung einer Prognoseentscheidung nach § 70 Abs. 4 Einkommensteuergesetz (EStG).
Der am 08.03.1982 geborene Sohn S…. des Klägers (Kl.) befand sich im gesamten Streitjahr 2004 in der Berufsausbildung.
Im Rahmen einer Prognoseentscheidung ging die beklagte Familienkasse für 2004 von Bruttolohn des Sohnes von 9.267,40 Euro und voraussichtlichen Werbungskosten (WK) von 1.157,17 Euro aus und hob mit Bescheid vom 19.02.2004 die Kindergeldfestsetzung für S…. ab Januar 2004 auf, da der Grenzbetrag von 7.680 Euro voraussichtlich überschritten werde. Dem Bescheid ist folgender „wichtiger Hinweis” beigefügt:
„Falls nach Ablauf des Kalenderjahres feststeht, dass die Einkünfte und Bezüge Ihres Kindes den Grenzbetrag nicht überschritten haben, können sie einen erneuten Antrag auf Kindergeld stellen.”
Am 28.04.2005 beantragte der Kl. erneut Kindergeld für seinen Sohn S…. für das Jahr 2004. Der Bruttolohn von S…. betrug unstreitig 9.896,80 Euro. Die WK wurden vom Kl. mit 3.220,60 Euro angegeben. Nach der vorgenommenen Berechnung der Bekl. wären hiervon jedoch nur 1.581,47 Euro im Streitjahr berücksichtigungsfähig (Bl. 199 der Akten). Die Sozialversicherungsbeiträge betrugen 2.040,95 Euro (Bl. 215 der Akten).
Mit Bescheid vom 13./17.10.2005 setzte die Bekl. Kindergeld für S…. ab März 2004 fest, lehnte die Gewährung von Kindergeld für die Monate Januar und Februar 2004 jedoch ab, da dem die Bestandskraft des Bescheides vom 19.02.2004 entgegen stehe. Die andere rechtliche Beurteilung der Sozialversicherungsbeiträge auf Grund der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts 2 BvR 167/02 vom 11.01.2005 rechtfertige weder eine Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 Abgabenordnung (AO) noch die Anwendung von § 70 Abs. 4 EStG.
Hiergegen richtet sich nach erfolglosem Vorverfahren die vorliegende Klage, die der Kl. innerhalb der Klagefrist bei der Familienkasse nach § 47 Finanzgerichtsordnung (FGO) angebracht hat. Der Kl. macht geltend, er habe gegen den Bescheid vom 19.02.2004 Widerspruch eingelegt. Zum Nachweis legte er die Kopie eines Schreibens vom 27.02.2004 an die Bekl. vor, dessen Eingang bei der Bekl. nach dem Inhalt der Akten nicht feststellbar ist. Außerdem bezieht der Kl. sich auf den Hinweis in dem Bescheid vom 19.02.2004. Er trägt vor, dass er auf Grund des Hinweises davon ausgegangen sei, dass, sobald die genauen Zahlen feststünden, ein erneuter Antrag auf Kindergeld gestellt werden könne.
Der Kl. beantragt (sinngemäß),
unter Aufhebung des angefochtenen Bescheides Kindergeld für S…. auch für Januar und Februar 2004 festzusetzen.
Die Bekl. beantragt,
die Klage abzuweisen.
Nach Ansicht der Bekl. steht die Bestandskraft des Bescheides vom 19.02.2004 der Gewährung von Kindergeld für Januar und Februar 2004 entgegen. Das vom Kl. vorgelegte Schreiben vom 27.02.2004 beinhalte auch den jetzigen Vortrag des Kl., nach Ablauf des Jahres 2004 die genauen Zahlen zu ermitteln und ggf. einen neuen Antrag zu stellen. Der Kl. habe daraufhin auch einen neuen Antrag gestellt und nicht eine fehlende Entscheidung über seinen Einspruch angemahnt. Da der Einspruch sich nicht bei den Akten befinde, gehe die Bekl. davon aus, dass der Vortrag des Kl., Einspruch eingelegt zu haben, nicht zutreffe. Auch aus dem dem Bescheid beigefügten Hinweis ergebe sich keine Zusage eines Anspruches auf Kindergeld. Die Änderungsmöglichkeit nach § 70 Abs. 4 EStG umfasse nicht eine Änderung wegen geänderter Rechtsauffassung. Eine Korrektur nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO komme ebenfalls nicht in Betracht, da eine geänderte Rechtsauffassung keine neue Tatsache im Sinne dieser Vorschrift darstelle.
Der Senat entscheidet gemäß § 94 a FGO bei einem Streitwert in Sinne dieser Vorschrift von unter 500 Euro ohne mündliche Verhandlung. Der Kl. begehrt Kindergeld in Höhe von 154 Euro für zwei Monate, so dass sein finanzielles Interesse sich auf den Betrag von 308 Euro bezieht. Dieser Betrag ist für die Anwendung von § 94 a FGO entscheidend. Für verfahrensrechtliche Zwecke stellt nämlich § 94 a FGO gegenüber der Regelung in § 52 Abs. 4 Gerichtskostengesetz (GKG) in der ab 01.07.2004 geltenden Fassung die speziellere Regelung dar, so dass die Regelung über den Mindeststreitwert in § 52 Abs. 4 GKG im Rahmen des § 94 a FGO nicht anzuwenden ist (vgl. Finanzgericht (FG) Münster, Urteil vom 18.01.2005 15 K 5205/04 U, EFG 2005, 974).
Die Klage ist zulässig.
Der Kl. hat innerhalb der Klagefrist nach § 47 FGO die Klage wirksam bei der beklagten Familienkasse angebracht. Die von der F...