Entscheidungsstichwort (Thema)
Berücksichtigung von Unterhaltsleistungen des Ehemanns an ein minderjähriges Kind bei der Berechnung des Unterhaltsanspruchs des behinderten Kindes gegenüber seinem Ehegatten
Leitsatz (redaktionell)
1. Unterhaltszahlungen des Ehemanns an ein minderjähriges Kind sind bei der Berechnung des Unterhaltsanspruchs des behinderten Kindes gegenüber seinem Ehegatten zu berücksichtigen.
2. Sonderzuwendungen, Gratifikationen usw., die in größeren als monatlichen Zeitabständen gewährt werden, sowie einmalige Einnahmen sind von dem Monat an zu berücksichtigen, in dem sie anfallen; soweit im Einzelfall keine andere Regelung angezeigt ist, sind sie auf einen angemessenen Zeitraum aufzuteilen und monatlich mit einem entsprechenden Teilbetrag anzusetzen.
3. Bei der Ermittlung des verfügbaren Nettoeinkommens der Eheleute ist auch das Pflegegeld zu berücksichtigen (vgl. BFH III R 71/05 vom 31.08.2006).
4. Vom Ehegatten auf sein Einkommen geleisteten Steuern (Lohnsteuer, Solidaritätszuschlag, Kirchensteuer) Sozialversicherungsbeiträge sowie vom Arbeitgeber gewährte vermögenswirksame Leistungen mindern das diesem zur Unterhaltsleistung zur Verfügung stehende Einkommen.
Normenkette
EStG § 70 Abs. 2; BGB § 1610a
Nachgehend
Tatbestand
Streitig ist, ob der Klägerin für die Monate November 2018 bis Februar 2019 Kindergeld für ein behindertes Kind zusteht.
Die Klägerin ist die Mutter des Kindes A, geboren am xx.03.1987. Das Kind ist schwerbehindert. Der für das Kind ausgestellte Schwerbehindertenausweis dokumentiert einen Grad der Behinderung von 70 sowie das Merkzeichen G. Im Streitzeitraum war das Kind mit B verheiratet und hatte mit seinem Ehemann ein Kind (Sohn C, geb. xx.11.2017). Der Ehemann ist Vater eines weiteren Kindes, nämlich der Tochter D. Für D leistete der Ehemann des Kindes im Streitzeitraum monatlichen Unterhalt von 305 €.
Die Klägerin erhielt mit Bescheid vom 28.01.2014 zunächst laufend Kindergeld.
Die Familienkasse forderte die Klägerin im Rahmen einer turnusmäßigen Überprüfung dazu auf, einen aktuellen Nachweis der Behinderung des Kindes vorzulegen sowie nachzuweisen, dass die Tochter infolge ihrer Behinderung außerstande sei, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten.
Daraufhin reichte die Klägerin den Schwerbehindertenausweis sowie Einkommensnachweise über die Einnahmesituation der Familie der Tochter ein. Aufgrund dieser Belege gelangte die Familienkasse zu der Auffassung, die Tochter sei im Streitzeitraum nicht außerstande, sich selbst zu unterhalten. Mit dieser Begründung hob die Familienkasse mit Bescheid vom 28.11.2018 die Festsetzung des Kindergeldes für das Kind ab November 2018 gemäß § 70 Abs. 2 Einkommensteuergesetz (EStG)auf.
Mit weiterem Schreiben vom 28.11.2018 wurde die Klägerin zur Rückforderung von Kindergeld für ihre Tochter A für die Monate Oktober 2017 bis Oktober 2018 gemäß § 91 Abgabenordnung (AO) angehört.
Im Rahmen der Stellungnahme zur Anhörung bat die Klägerin um Überprüfung des Bescheides vom 28.11.2018 dahingehend, ob ihr Kindergeld weiterhin gewährt werden könne.
Die Familienkasse legte dies als Einspruch gegen den Aufhebungsbescheid vom 28.11.2018 aus, den sie mit Einspruchsentscheidung vom 21.09.2019 als unbegründet zurückwies.
Zur Begründung führte die Familienkasse aus, die Tochter der Klägerin verfüge nach ihren Berechnungen über ausreichend finanzielle Mittel, um ihren Lebensunterhalt selbst bestreiten zu können. Neben dem allgemeinen Lebensbedarf (Grundfreibetrag nach § 32a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 EStG in Höhe von kalenderjährlich 9.000 € für 2018 bzw. 9.168 € für 2019) sei im Streitfall ein behinderungsbedingter Mehrbedarf der Tochter in Höhe des ihr gewährten Pflegegeldes von monatlich 316 € anzusetzen, was einen rechnerischen Gesamtbedarf des Kindes im Streitzeitraum von 4.292 € ergebe. Da das verfügbare Einkommen des Kindes einschließlich der Leistungen Dritter anzurechnen seien, ergäben sich unter Berücksichtigung des theoretischen Ehegattenunterhalts Einnahmen des Kindes in Höhe von 4.784 € für den Streitzeitraum. Demnach könne das Kind seinen Bedarf selbst decken. Wegen der Einzelheiten der Berechnung wird auf die Einspruchsentscheidung Bezug genommen.
Die Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat hiergegen Klage erhoben und zur Begründung im Wesentlichen folgendes vorgetragen:
Das Einkommen des Ehemanns des Kindes habe sich im Streitzeitraum im Vergleich zu den Vormonaten nicht geändert. Das Kind sei weiterhin nicht in der Lage, sich selbst zu unterhalten. Die in der Einspruchsentscheidung vorgenommene Berechnung der Familienkasse sei u.a. hinsichtlich des Ansatzes der vermögenswirksamen Leistungen sowie der Aufteilung von Urlaubs- und Weihnachtsgeld nicht nachvollziehbar. Weiterhin sei rechtlich nicht begründbar, warum die Unterhaltsleistungen des Ehemannes des Kindes einerseits an seine Tochter D in Höhe von 305 € monatlich (zu Recht) berücksichtigt, andererseits an den gemeinsamen Sohn C nicht berücksichti...