Leitsatz
Das OLG Hamburg hatte über die Parteifähigkeit einer nach dem Recht der Isle of Man gegründeten Ltd. zu entscheiden, deren Verwaltungssitz inzwischen (2002) nach Deutschland verlegt worden war. Es geht dabei weiterhin von der Anwendbarkeit der Sitztheorie zur Anknüpfung des maßgeblichen Gesellschaftssachrechts aus. Diese sei nur durch die höherrangigen Regelungen des europäischen Rechts (Art. 48 EGV) und teilweise durch bilaterale völkerrechtliche Verträge zu Gunsten der Gründungstheorie verdrängt. Das Gericht erkennt zwar die Rechtsunsicherheit, die davon ausgeht, wenn man unterschiedliche Regeln des internationalen Privatrechts zur Bestimmung des anwendbaren Sachrechts verwendet; es hält hier aber das Eingreifen des Gesetzgebers für erforderlich und bleibt daher grundsätzlich bei der Sitztheorie. Da die Isle of Man nicht in den Anwendungsbereich des EGV fällt, erfolgte im Besprechungsfall durch einen 2002 vorgenommenen Wechsel des Verwaltungssitzes nach Deutschland ein Statutenwechsel: Aus der bis dahin nach dem Recht der Isle of Man zu beurteilenden Ltd. wurde damit eine nach deutschem Gesellschaftsrecht zu beurteilende Gesellschaft, im vorliegenden Fall eine parteifähige (BGHZ 146, 341) GbR.
Hinweis
Wie zuvor schon das OLG Köln (Urt. v. 31.1.2006, 22 U 109/05) folgt nun auch das OLG Hamburg außerhalb des Anwendungsbereichs des EGV und damit der Rechtsprechung des EuGH (ZIP 2002, 2037 - "Überseering" - und ZIP 2003, 1885 - "Inspire Art") sowie spezieller völkerrechtlicher Verträge (BGH ZIP 2003, 720 für deutsch-amerikanischen Freundschafts-, Handels- und Schifffahrtsvertrag und BGH DNotZ 2006, 143 für den EWR-Raum), die die Anerkennung von Auslandsgesellschaften vorschreiben, weiterhin der in Deutschland vorherrschenden Sitztheorie für die Ermittlung des anwendbaren Sachrechts. Das bedeutet: Eine Auslandsgesellschaft, die ihren Verwaltungssitz nicht am Sitz ihrer Gründung, sondern in Deutschland unterhält, ist nach deutschem Gesellschaftsrecht zu beurteilen. Der Verwaltungssitz befindet sich dort, wo die Geschäftsführung die wesentlichen Leitungsentscheidungen fällt.
Das hat vielfältige Konsequenzen: Die Gesellschaft hat in Deutschland einen allgemeinen Gerichtsstand (§ 17 ZPO - OLG Köln ebda.), kann hier also verklagt werden. Sie verliert ihr ausländisches Rechtskleid, das die Gesellschafter evtl. vor persönlicher Haftung schützen soll, und erhält ein deutsches: Dieses hat immer die persönliche Haftung der Gesellschafter zur Folge, da als Rechtsform nur die Gesellschaft bürgerlichen Rechts oder die oHG in Betracht kommen; handelt es sich gar um eine Ein-Personen-Auslandsgesellschaft, verliert der Alleingesellschafter durch den Statutenwechsel jedes Rechtskleid und steht nackt als Einzelkaufmann oder natürliche Person da. Auch die Vertretungsverhältnisse ändern sich: Wegen des Grundsatzes der Selbstorganschaft können GbR oder oHG organschaftlich nur durch ihre Gesellschafter ordnungsgemäß vertreten werden.
Für die Praxis ist diese Rechtsprechungstendenz doppelt misslich: Durch die Rechtsprechung des EuGH ermutigt, haben sich womöglich übermütig einige bereits über die Grenzen der EU hinaus gewagt und andernorts für sie vermeintlich noch vorteilhaftere Rechtsformen für ihre Geschäfte in Deutschland gefunden. Hier ist Vorsicht angezeigt: Es ist längst nicht entschieden, dass der BGH, der sich seit der Entscheidungsserie des EuGH, die ihn zur Anwendung der Gründungstheorie innerhalb Europas gezwungen hatte, nicht mehr zu Wort melden konnte, die Gründungstheorie auch auf Gesellschaften aus Ländern außerhalb der EU anwenden wird. HiTut er es nicht, droht großes Ungemach für die voreiligen Gründer: Wollen sie vor allem ihren Haftungsschutz erhalten, müssen sie ihren Verwaltungssitz von Deutschland nicht zwingend in das Gründungsland, aber in ein Land verlegen, das der Gründungstheorie folgt, wie etwa England. Zweitens ist immer zu prüfen, ob höherrangiges, dem deutschen IPR vorgehendes EU- oder Völkerrecht evtl. eine Ausnahme zu Gunsten der Gründungstheorie verlangt. Damit existiert in Deutschland ein Nebeneinander zweier kollisionsrechtlicher Regime für ein und dasselbe Problem. Das sollte schnellstens durch den Gesetzgeber geklärt werden, wobei eine einheitliche europarechtliche Regelung vorzugswürdig gegenüber nationalen Alleingängen wäre.
Einstweilen bleibt das internationale Gesellschaftsrecht für die Praxis ein Minenfeld. Für Kleinunternehmer mit regional beschränktem Wirkungskreis in Deutschland birgt es weiterhin zu viele Risiken als dass ihnen guten Gewissens die Verwendung fremder ausländischer Rechtsformen empfohlen werden könnte.
Link zur Entscheidung
OLG Hamburg, Urteil vom 30.03.2007, 11 U 231/04