Leitsatz
Nach Ablauf von fünf Jahren ist die Vollstreckung aus einem Räumungstitel verwirkt, wenn der Vermieter und Gläubiger in diesem Zeitraum keine Tätigkeit entfaltet hat, um den Räumungsanspruch durchzusetzen.
AG Neubrandenburg, Beschl. v. 7.1.2019 – 102 C 2/19
1 I. Der Fall
Räumungsvollstreckung nach fünf Jahren
Der Gläubiger hat gegen den Schuldner einen Räumungstitel erwirkt. Tatsächlich wurde die Räumung aber weder freiwillig noch zwangsweise bewirkt. Vielmehr hat der Gläubiger fünf Jahre zugewartet, bis er den Mietvertrag erneut fristlos kündigte und die Räumungsklage androhte. Dann leitete er aber tatsächlich die Vollstreckung aus dem alten Vollstreckungstitel ein. Darauf hat der Schuldner Vollstreckungsgegenklage nach § 767 ZPO erhoben und einen Antrag auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung nach § 769 ZPO gestellt. Hierüber hatte das AG zu entscheiden. Der Schuldner macht geltend, der titulierte Räumungsanspruch sei verwirkt. Das Verfahren hat sich dann anderweitig erledigt.
2 II. Die Entscheidung
AG trifft Abwägungsentscheidung zu § 769 ZPO
Die Zwangsvollstreckung ist einstweilen einzustellen. Der geltend gemachte Rechtsbehelf bzw. das geltend gemachte Rechtsmittel – Vollstreckungsgegenklage wegen Verwirkung – ist zulässig und erscheint nicht als völlig aussichtslos, §§ 719, 707, 700, 769 ZPO.
Klägerin hat nicht konsequent gehandelt
Da der Antragsgegner mit Schreiben vom 16.7.2018 – rund fünf Jahre nach dem streitgegenständlichen Räumungstitel – erneut die fristlose Kündigung des Mietverhältnisses ausgesprochen hat und Räumungsklage angedroht hat, liegt nahe, dass er selbst von einer Verwirkung ausgegangen ist.
Da die Räumung unmittelbar bevorsteht, ist eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung geboten.
3 Der Praxistipp
Entscheidung ohne Begründung
Die Entscheidung ist nur sehr knapp begründet. Dass der Vermieter etwas anderes angekündigt hat als er dann tatsächlich tut, rechtfertigt für sich aber keine Einstellung der Zwangsvollstreckung. Auch ist die Ansicht des Vermieters und Gläubigers letztlich unerheblich. Entscheidend ist auf der ersten Stufe, ob dem Einwand der Verwirkung eine hinreichende Erfolgsaussicht nicht abgesprochen werden kann. Auf der zweiten Stufe sind dann die wechselseitigen Interessen gegeneinander abzuwägen.
Es ist nicht zu sehen, ob der Gläubiger auf eine solche Form der abwägenden Entscheidung gedrängt und die maßgeblichen Argumente für sich vorgetragen hat. Dies muss jedenfalls vom Gläubiger oder seinem Rechtsanwalt verlangt werden.
Voraussetzungen der Verwirkung sind vom BGH definiert
Der BGH hat im Urt. v. 19.10.2005 (XII ZR 224/03, Rn 22, zitiert nach juris) zu den Voraussetzungen des Verwirkungseinwandes ausgeführt: "Der Rechtsgedanke der Verwirkung, der auch im Miet- und Pachtrecht gilt, ist ein Unterfall der unzulässigen Rechtsausübung aufgrund widersprüchlichen Verhaltens (BGH Urt. v. 29.2.1984 – VIII ZR 310/82, NJW 1984, 1684; Gramlich, in: Bub/Treier a.a.O. Kap. VI Rn 101; Blank/Börstinghaus, Miete, 5. Aufl. 2017, § 548 Rn 64). Danach ist ein Recht verwirkt, wenn der Berechtigte es längere Zeit hindurch nicht geltend gemacht und der Verpflichtete sich darauf eingerichtet hat und nach dem gesamten Verhalten des Berechtigten auch darauf einrichten durfte, dass dieser das Recht auch in Zukunft nicht geltend machen werde (Senatsurteile BGHZ 84, 280, 281; BGHZ 105, 290, 298; BGH, Urt. v. 14.11.2002 – VII ZR 23/02, NJW 2003, 824; MüKo/Roth, 4. Aufl., § 242 BGB Rn 464 m.w.N.)." Danach kommen ein Zeitmoment und ein Umstandsmoment als Teil eines Vertrauenstatbestandes in Frage.
Der Fehler: Untätigkeit
Versucht der Gläubiger seinen titulierten Räumungsanspruch durchzusetzen, kommt danach eine Verwirkung nicht in Betracht, unabhängig von der Frage, wie lange er sich bemüht. Er schafft dann schlicht keinen Vertrauenstatbestand. Problematisch sind die Fälle, in denen der Gläubiger untätig bleibt, weil der Mieter und Schuldner nicht freiwillig auszieht, nunmehr aber – über einen längeren Zeitraum – die Miete wieder entsprechend dem ursprünglichen Vertrag freiwillig, vollständig und rechtzeitig zahlt. Nimmt der Vermieter dies hin, kann dies als konkludente Neubegründung eines Mietverhältnisses angesehen werden.
Was kann der Gläubiger tun?
Ist von einer Neubegründung des Mietverhältnisses auszugehen, muss tatsächlich – wie hier zunächst angedroht – eine erneute Kündigung ausgesprochen und dann Räumungsklage erhoben werden. Das kostet Zeit und vor allem auch erneut Geld, von dem der Gläubiger nicht weiß, ob er seinen Erstattungsanspruch realisieren kann. Vor diesem Hintergrund sollte er mit dem Mieter eine klare Vereinbarung treffen, nachdem die Vollstreckung des titulierten Räumungsanspruchs ausdrücklich nur im beiderseitigen Einvernehmen gehemmt wird, solange der Mieter seinen Verpflichtungen hinsichtlich Miete, Nebenkosten und sonstigen Pflichten aus dem Mietvertrag (Schönheitsreparaturen etc.) nachkommt (vgl. insoweit in einem Prozessvergleich LG Berlin ZMR 2014, 589). Auf dieser Grundlage mag zwar ein Zeitmoment vorliegen, aber es fe...