Leitsatz
1. Da der Gläubiger in der Regel keine konkreten Kenntnisse zum Einkommen der gegenüber dem Schuldner unterhaltsberechtigter Personen hat, trifft den Schuldner eine sekundäre Darlegungslast, wenn der Gläubiger nur hinreichende Anhaltspunkte dafür vorgetragen hat, dass eigene Einkünfte erzielt werden.
2. Macht der Schuldner keine Angaben, ist von der Gewährung von Unterhalt durch den weiteren Elternteil des unterhaltsberechtigten Kindes auszugehen, so dass dieser zur Hälfte nicht zu berücksichtigen ist.
LG Oldenburg, Beschl. v. 26.11.2021 – 6 T 154/21
1 Der Fall
Antrag auf hälftige Nichtberücksichtigung eines Kindes
Die Gläubigerin betreibt gegen die Schuldnerin die Zwangsvollstreckung aus einem Vollstreckungsbescheid. Auf ihren Antrag erließ das AG einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss betreffend Lohnzahlungsansprüche der Schuldnerin gegen ihren Arbeitgeber. Die Schuldnerin ist Mutter eines Kindes.
Die Gläubigerin beantragte durch ihre Verfahrensbevollmächtigte, die Drittschuldnerin anzuweisen, bei der Berechnung des pfändbaren Betrages das Kind der Schuldnerin nur zu 50 % zu berücksichtigen. Zur Begründung führte sie an, die Schuldnerin habe ausweislich ihrer Gehaltsabrechnung bei Steuerklasse II nur einen halben Kinderfreibetrag eingetragen. Es sei daher davon auszugehen, dass der Vater den anderen hälftigen Freibetrag auf seiner Lohnsteuerkarte eingetragen habe. Des Weiteren erhalte die Schuldnerin Unterhalt oder mindestens einen Unterhaltsvorschuss. Die dadurch erfüllten gesetzlichen Unterhaltsansprüche seien eigene Einkünfte des Kindes.
Schuldnerin sagt nichts, Gläubigerin weiß nichts
Die Schuldnerin wurde zu dem Antrag der Gläubigerin angehört und äußerte sich nicht. Auf die Zwischenverfügung hat die Gläubigerin erklärt, das Einkommen des Vaters nicht zu kennen. Mit Beschluss des Rechtspflegers hat das AG den Antrag mit der Begründung zurückgewiesen, es seien keine hinreichenden Tatsachen zu den Einkommensverhältnissen des Vaters festgestellt; dem Gläubiger stehe es offen, zu den Einkommensverhältnissen des Kindes eine aktuelle Vermögensauskunft der Schuldnerin einzuholen. Hiergegen wendet sich die Gläubigerin mit der sofortigen Beschwerde, der das AG nicht abgeholfen hat. Die Schuldnerin ist nach Vorlage der Sache an das LG angehört worden, hat sich aber nicht geäußert.
2 II. Die Entscheidung
Eigenbedarf und dessen Deckung stehen im Zentrum der Abwägung
Die nach § 793 ZPO zulässige sofortige Beschwerde hat in der Sache Erfolg. Der Antrag der Gläubigerin anzuordnen, das Kind der Schuldnerin bei der Berechnung des unpfändbaren Teils des Arbeitseinkommens jeweils zur Hälfte unberücksichtigt zu lassen, ist berechtigt.
Gemäß § 850c Abs. 4 ZPO [Anm.: nunmehr § 850c Abs. 6 ZPO] kann das Vollstreckungsgericht nach billigem Ermessen anordnen, dass eine nach dem Gesetz unterhaltsberechtigte Person, die eigene Einkünfte hat, bei der Berechnung des unpfändbaren Teils des Arbeitseinkommens ganz oder teilweise unberücksichtigt bleibt. Schon nach ihrem Wortlaut erfasst die Vorschrift alle Arten von Einkünften. Sie will die Berücksichtigung des Berechtigten, der eigene Einkünfte bezieht, flexibel gestalten, wobei das Gericht in seine Erwägungen den Lebensbedarf einzubeziehen hat, der aus dem Arbeitseinkommen des Schuldners zu bestreiten ist. Es ist zu prüfen, ob die eigenen Einkünfte des Unterhaltsberechtigten dazu führen, dass dem Schuldner insoweit kein eigenes Einkommen verbleiben muss, weil der Bedarf des Unterhaltsberechtigten anderweitig gedeckt ist. Deshalb sind Unterhaltszahlungen, die der Unterhaltsberechtigte vom anderen Elternteil oder Dritten bezieht, als eigene Einkünfte i.S.v. § 850c Abs. 4 ZPO [§ 850c Abs. 6 ZPO] zu berücksichtigen. Geld, das der Unterhaltsberechtigte von dritter Seite bezieht, verringert seinen Bedarf und entlastet den zum Unterhalt verpflichteten Schuldner (BGH v. 16.4.2015 – IX ZB 41/14; BGH v. 19.12.2019 – IX ZB 83/18).
Es kommt auf die Betrachtung des Einzelfalles an
Bei der Ermessensentscheidung hat das Gericht seine Entscheidung unter Abwägung der wirtschaftlichen Lage des Gläubigers und des Schuldners sowie der von ihm unterhaltenen Angehörigen zu treffen. Dabei können Pfändungsfreibeträge und Unterhaltstabellen Anhaltspunkte für die Ausübung des Ermessens geben. Eine einseitige Orientierung an bestimmten Berechnungsmodellen scheidet jedoch aus, weil sie dem Sinn des § 850c Abs. 4 ZPO [§ 850c Abs. 6 ZPO] widerspräche (BGH Rpfleger 2005, 371; BGH Rpfleger 2005, 201).
Nach diesen Maßstäben hat das Kind der Schuldnerin eigene Einkünfte i.S.d. § 850c Abs. 4 ZPO [§ 850c Abs. 6 ZPO], da ihm gegen den Kindsvater ein eigener Unterhaltsanspruch zusteht. Die eigenen Einkünfte führen dazu, dass der Schuldnerin insoweit kein eigenes Einkommen verbleiben muss, weil der Bedarf der Unterhaltsberechtigten anderweitig gedeckt ist (vgl. BGH, Beschl. v. 7.5.2009 – IX ZB 211/08, juris; Beschl. v. 5.4.2005, a.a.O.).
Sekundäre Darlegungs- und Beweislast
Grundsätzlich muss zwar der Gläubiger, der einen entsprechenden Antrag stellt, zu den maß...