Leitsatz
Lebt der Schuldner mit seinem Ehegatten oder einem Lebenspartner in einem gemeinsamen Haushalt, beträgt sein notwendiger Unterhalt im Sinne des § 850f Abs. 2 ZPO lediglich 90% des Regelsatzes.
LG Wuppertal, 27.6.2008 – 6 T 408/08
1 Der Fall
Gläubiger begehrt Absenkung des Selbstbehalts!
Der Gläubiger hat u. a. die angeblichen Ansprüche des Schuldners gegen die Drittschuldnerin aus Arbeitslosengeld, Arbeitslosengeld II, Arbeitslosenhilfe und im Einzelnen näher bezeichneten Beihilfen gepfändet und sich zur Einziehung überweisen lassen. Das AG hat auf Antrag des Gläubigers die Pfändungsfreigrenze abweichend von § 850c ZPO nach Maßgabe des § 850f Abs. 2 ZPO auf den notwendigen Unterhalt des Schuldners beschränkt und bei der Berechnung des Pfändungsfreibetrages von insgesamt 1.111,00 EUR dabei einen Selbstbehalt des Schuldners in Höhe von 345,00 EUR berücksichtigt. Hiergegen wendet sich der Gläubiger und begehrt die Herabsetzung des Selbstbehaltes des Schuldners auf 311,00 EUR.
2 Die Entscheidung
Selbstbehalt nach Hartz IV
Das LG ist dem Gläubiger gefolgt. Der notwendige Lebensunterhalt eines Schuldners nach Maßgabe des § 850f Abs. 2 ZPO bemisst sich nach dem 3. und 11. Kapitel des SGB XII. Maßgebend sind mithin die Regelsätze der Sozialhilfe nach der aufgrund des § 28 Abs. 2 zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) ergangenen Regelsatzverordnung. Danach beträgt der zu berücksichtigende Selbstbehalt des Schuldners lediglich 311,00 EUR. Denn § 3 Abs. 1 der VO zur Durchführung des § 28 des SGB XII in der hier maßgeblichen Fassung bestimmt zwar den Eckregelsatz für den Haushaltsvorstand auf 100 % (entsprechend 345,00 EUR). Indessen bestimmt die Neufassung des § 3 dieser Regelsatzverordnung in Abs. 3, dass für den Fall, dass Ehegatten oder Lebenspartner zusammenleben, der Regelsatz jeweils, d.h. für jeden der beiden, 90 vom 100 des Eckregelsatzes beträgt (mithin im Fall nur 311,00 EUR). Damit ist rechtlich eine Anpassung an die entsprechende Regelung in § 20 Abs. 3 SGB II, welche die Grundsicherung für Arbeitssuchende regelt, erfolgt. Diese Bestimmung ist mithin nunmehr maßgebend für die Festsetzung des notwendigen Unterhaltes im Sinne des § 850f Abs. 2 ZPO. Der Gläubiger hat unwidersprochen vorgetragen, dass die Voraussetzungen des § 3 Abs. 3 der Regelsatzverordnung vorliegen, der die obengenannte Verteilung der Eckregelsätze im Falle von Ehepartnern regelt.
3 Der Praxistipp
Ihr Vorteil bei § 850f Abs. 2 ZPO!
Kann der Gläubiger nachweisen, dass eine Forderung zumindest auch aus vorsätzlich unerlaubter Handlung stammt, kann das Arbeitsentgelt des Schuldners nach § 850f Abs. 2 ZPO ohne Rücksicht auf die Pfändungsfreibeträge des § 850c ZPO gepfändet werden. Dem Schuldner ist lediglich soviel zu belassen, wie er zu seinem notwendigen Unterhalt bedarf. Der BGH hat hierzu am 18.7.2003 entschieden, dass der notwendige Unterhalt dem individuellen Sozialhilfeniveau entspricht (BGH InVo 2003, 442). Es ist also fiktiv – der Schuldner arbeitet ja und sein Arbeitseinkommen wurde gepfändet – zu ermitteln, in welcher Höhe der Schuldner Anspruch auf Sozialhilfe ("Hartz IV") hätte.
Nach den sozialrechtlichen Vorschriften steht ihm dabei ein Prozentsatz des Regelsatzes zu, der im konkreten Fall noch 345 EUR betragen hatte, zum 1.7.2008 aber auf 351 EUR angehoben wurde. 90% hiervon waren im konkreten Fall 311 EUR, seit dem 1.7.2008 jedoch 315,90 EUR. Daneben erhält der Schuldner die Aufwendungen, die er für seinen angemessenen Wohnbedarf benötigt, sowie die Nebenkosten (Heizung, Strom, Wasser etc.) berücksichtigt. Letztlich sind ihm die Beträge zu belassen, die er an Unterhaltsleistungen für gesetzliche Unterhaltspflichten aufwendet.
Der Vorteil im konkreten Einzelfall
Die Entscheidung bedeutet, dass der Gläubiger Monat für Monat einen um 35,10 EUR höheren Betrag vom Arbeitseinkommen pfänden kann, wenn er nachweist, dass der Schuldner mit seinem Ehegatten oder Lebenspartner in einer Haushaltsgemeinschaft lebt. Dies kann er durch die Selbstauskunft des Schuldners im Offenbarungsverfahren, einen Anruf beim Schuldner oder den Nachbarn, eine (erweiterte) Melderegisterauskunft oder ähnliche Ermittlungsmaßnahmen in Erfahrung bringen.
Im Fall des § 850f Abs. 2 ZPO muss der Gläubiger bei dem Vollstreckungsgericht einen Antrag stellen, die nicht pfändbaren Beträge im Sinne des notwendigen Lebensunterhaltes oder aber umgekehrt den tatsächlich pfändbaren Betrag festzusetzen. Dabei empfiehlt sich bei einer absehbar längeren Pfändung die erste Variante, weil mögliche Lohnsteigerungen unmittelbar dem Gläubiger zugute kommen und er keinen Abänderungsantrag stellen muss. Dieser Antrag kann schon mit dem Pfändungs- oder Überweisungsbeschluss bezüglich des Arbeitseinkommens verbunden werden oder aber gesondert gestellt werden.
Beachtet werden muss, dass der Schuldner zu einem Antrag nach § 850f Abs. 2 ZPO bei einem verbundenen Antrag (PfÜB und Antrag nach § 850f Abs. 2 ZPO) nach der Praxis vieler Vollstreckungsgericht vor dem Erlass des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses gehört wird. Dies kann dazu ...