Leitsatz
1. Die Überweisung einer gepfändeten Forderung zur Einziehung setzt als Hoheitsakt die öffentlich-rechtliche Beschlagnahme des Pfandgegenstandes (Verstrickung) voraus. Deshalb gehört eine wirksame Pfändung zum Tatbestand der Überweisung. Wirksam ist eine Pfändung, wenn sie nicht nichtig ist, das heißt unter einem besonders schweren und bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offenkundigen Fehler leidet.
2. Allein in der Nichtbeachtung von Pfändungsschutzvorschriften liegt kein besonders schwerer und offenkundiger Fehler der Pfändung einer Forderung.
BGH, Beschl. v. 2.7.2020 – VII ZA 3/19
1 I. Der Fall
GmbH als Insolvenzschuldnerin
Die Schuldnerin war Geschäftsführerin, zunächst Mehrheitsgesellschafterin und später Alleingesellschafterin der Insolvenzschuldnerin, einer GmbH. Der Gläubiger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der GmbH.
GF erhält Renten als Versorgungszusage
Mit Vereinbarung vom 8.12.1995 gewährte die GmbH der Schuldnerin eine Altersrente und eine Hinterbliebenenrente. Die GmbH behielt sich vor, nach Eintritt des Versorgungsfalls anstelle einer laufenden Rente eine Kapitalabfindung zu leisten. Die GmbH behielt sich des Weiteren vor, zur Absicherung der ihr aus der Versorgungszusage erwachsenden Verpflichtungen eine Rückdeckungsversicherung abzuschließen, aus der sie allein bezugsberechtigt ist. Hierzu erteilte die Schuldnerin ihre Zustimmung. Dementsprechend vereinbarte die GmbH mit einem Lebensversicherer den Abschluss einer Kapitalversicherung mit der Schuldnerin als versicherter Person. Nach den Vereinbarungen ist die Versicherungssumme im Falle des Todes der Schuldnerin, spätestens jedoch beim vereinbarten Ablauf, dem 1.12.2019, fällig; ein Rentenwahlrecht besteht nicht.
Rente wurde der GF verpfändet
Am 12.12.1995 schlossen die GmbH und die Schuldnerin in Bezug auf die Rückdeckungsversicherung eine Verpfändungsvereinbarung und zeigten diese dem Lebensversicherer an. Auf Antrag des Gläubigers erließ das Amtsgericht – Vollstreckungsgericht – am 9.2.2016 einen Pfändungsbeschluss, wonach die Ansprüche der Schuldnerin aus der Versorgungsanzeige der GmbH vom 8.12.1995 und das Pfandrecht der Schuldnerin an der vorbezeichneten Rückdeckungsversicherung einschließlich des Auszahlungsanspruchs und des Rechts zur Kündigung gepfändet wurden. Am 6.1.2017 hat der Gläubiger den Erlass eines Überweisungsbeschlusses zum Pfändungsbeschluss vom 9.2.2016 beantragt, den das Amtsgericht – Vollstreckungsgericht – mit Beschluss vom 6.3.2017 erlassen hat.
Ist die Rente – Versorgungszusage – unpfändbar?
Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Schuldnerin, die sich auf einen Pfändungsschutz nach § 851c ZPO beruft, ist erfolglos geblieben. Der BGH hat nun über das PKH-Gesuch der Schuldnerin zu entscheiden.
2 II. Die Entscheidung
BGH hält das PKH-Gesuch für unbegründet
Der Antrag der Schuldnerin auf Gewährung von Prozesskostenhilfe ist abzulehnen, da die beabsichtigte Durchführung des Rechtsbeschwerdeverfahrens keine Aussicht auf Erfolg bietet (§ 114 Abs. 1 S. 1 ZPO).
Gegenstand der Rechtsbeschwerde ist der Überweisungsbeschluss
Gegenstand des beabsichtigten Rechtsbeschwerdeverfahrens ist ausschließlich der zugunsten des Gläubigers ergangene Überweisungsbeschluss vom 6.3.2017. Mit diesem Beschluss hat das Amtsgericht – Vollstreckungsgericht – die mit Beschluss vom 9.2.2016 gepfändeten Forderungen dem Gläubiger zur Einziehung überwiesen und damit durch staatlichen Hoheitsakt nach § 835 Abs. 1, Abs. 3 S. 1 ZPO verwertet (vgl. MüKo-ZPO/Smid, 5. Aufl., § 835 Rn 1, 3; Musielak/Voith/Flockenhaus, ZPO, 17. Aufl., § 835 Rn 1; Zöller/Herget, ZPO, 33. Aufl., § 835 Rn 1; HK-ZPO/Kemper, 8. Aufl., § 835 Rn 1).
Nichtigkeit vs. Anfechtbarkeit
Die Überweisung der gepfändeten Forderung zur Einziehung setzt als Hoheitsakt die öffentlich-rechtliche Beschlagnahme des Pfandgegenstandes (Verstrickung) voraus. Deshalb gehört eine wirksame Pfändung der Forderung zum Tatbestand der Überweisung (BGH v. 22.9.1994 – IX ZR 165/93; MüKo-ZPO/Gruber, 5. Aufl., § 803 Rn 33; Musielak/Voith/Flockenhaus, ZPO, 17. Aufl., § 803 Rn 9a). Wirksam ist eine Pfändung, wenn sie nicht nichtig ist, das heißt unter einem besonders schweren und bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offenkundigen Fehler leidet (vgl. BGH v. 22.9.1994 – IX ZR 165/93, BGHZ 127, 146; BGH v. 23.10.2008 – VII ZB 16/08). Liegen derartig schwere Fehler nicht vor, ist eine Vollstreckungshandlung als staatlicher Hoheitsakt wirksam, auch wenn sie bei richtiger Sachbehandlung hätte unterbleiben müssen. Ihre Fehlerhaftigkeit führt lediglich dazu, dass sie auf entsprechenden Rechtsbehelf wieder aufzuheben ist. Solange die Fehlerhaftigkeit nicht durch die dafür zuständige Stelle festgestellt ist, müssen die im Namen des Staates getroffenen Entscheidungen beachtet und befolgt werden (BGH v. 21.5.1980 – VIII ZR 284/79).
Beispiele für nichtige Pfändungen
Auf dieser Grundlage geht die Rechtsprechung davon aus, dass ein Pfändungsbeschluss nichtig ist, wenn der Schuldner nicht der deutschen Gerichtsbarkeit...