Leitsatz
Betreibt ein Wirtschaftsverband (§ 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG) die Zwangsvollstreckung aus einem materiell-rechtlich auf § 8 Abs. 1 UWG gestützten Unterlassungstitel, muss der Verband zum Zeitpunkt der Entscheidung über einen Antrag auf Festsetzung von Ordnungsmitteln nach § 890 Abs. 1 S. 1 ZPO den zu diesem Zeitpunkt geltenden Anforderungen des § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG entsprechen. Ansonsten fehlt ihm die Antragsbefugnis für das Ordnungsmittelverfahren.
OLG Hamm, Beschl. v. 15.5.2023 – 4 W 32/22
1 Der Fall
Nicht eingetragener Wettbewerbsverein als Gläubiger
Der Gläubiger ist ein Verband in der Rechtsform des eingetragenen Vereins, zu dessen Aufgaben nach seiner Satzung die Förderung der rechtlichen und wirtschaftlichen Interessen deutscher Online-Unternehmer und Online-Freiberufler und die Mitwirkung an der Herstellung eines fairen Wettbewerbs gehören. Der Gläubiger ist bis zum heutigen Tage weder in die Liste der qualifizierten Wirtschaftsverbände nach § 8b UWG noch in die Liste der qualifizierten Einrichtungen nach § 4 UKlaG eingetragen worden.
Einstweilige Verfügung und Abschlusserklärung erwirkt
Auf Antrag des Gläubigers hatte das LG im Beschlusswege eine einstweilige Verfügung gegen die jetzige Schuldnerin erlassen, mit der das LG der Schuldnerin, materiell-rechtlich gestützt auf § 8 Abs. 1 UWG, unter Androhung von Ordnungsmitteln u.a. untersagt hatte, mit einer "Garantie" zu werben, ohne gleichzeitig nähere Angaben zum Inhalt und zur Ausgestaltung dieser Garantie zu machen. Die Schuldnerin hatte zu dieser einstweiligen Verfügung eine Abschlusserklärung abgegeben.
Erfolgloser Ordnungsmittelantrag
Der Gläubiger beantragt nun die Festsetzung von Ordnungsmitteln gegen die Schuldnerin. Sie habe in Produktangeboten auf einer Internethandelsplattform dem vorbezeichneten Unterlassungsgebot zuwidergehandelt. Das LG wies den Ordnungsmittelantrag zurück. Dem Gläubiger fehle die für die Durchführung des Ordnungsmittelverfahrens erforderliche Prozessführungsbefugnis. Hiergegen wendet sich der Gläubiger mit der sofortigen Beschwerde.
2 II. Die Entscheidung
OLG: unzulässiger Antrag mangels Antragsbefugnis
Der Antrag auf Festsetzung von Ordnungsmitteln nach § 890 Abs. 1 S. 1 ZPO ist unzulässig. Dem Gläubiger fehlt die erforderliche Antragsbefugnis. Die Regelungen in § 8 Abs. 3 Nrn. 2 und 3 UWG über die Befugnis von Wirtschaftsverbänden und qualifizierten Einrichtungen zur Verfolgung von Wettbewerbsverstößen haben nach herrschender Auffassung in Rechtsprechung und Literatur, der auch der erkennende Senat folgt, eine "Doppelnatur": Sie regeln nicht nur die materiell-rechtliche Anspruchsberechtigung (Sachbefugnis oder Aktivlegitimation), sondern in verfahrensrechtlicher Hinsicht auch die Prozessführungsbefugnis für die Geltendmachung von lauterkeitsrechtlichen Ansprüchen nach § 8 Abs. 1 UWG (vgl. Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 41. Aufl. 2023, § 8 Rn 3.9 m.w.N.).
Antragsbefugnis muss durchgängig gegeben sein
Diese Prozessführungsbefugnis muss, soweit es – wie im vorliegenden Falle – um einen lauterkeitsrechtlichen Unterlassungsanspruch nach § 8 Abs. 1 S. 1 UWG geht, nicht nur im Erkenntnisverfahren vorliegen, sondern auch noch bei der anschließenden Durchsetzung des titulierten Unterlassungsanspruchs im Wege der Zwangsvollstreckung zum Zeitpunkt der Entscheidung über einen Antrag auf Festsetzung von Ordnungsmitteln nach § 890 Abs. 1 S. 1 ZPO gegeben sein (im Ergebnis ebenso: Büscher/Ahrens, UWG, 2. Aufl. 2021, § 15a Rn 11). Da § 890 Abs. 1 S. 1 ZPO von einem "Antrag" spricht, erscheint es sinnvoll, im Ordnungsmittelverfahren nicht den Begriff "Prozessführungsbefugnis", sondern den Begriff "Antragsbefugnis" zu verwenden.
Gesetzliche Neuregelung hat Antragsbefugnis entfallen lassen
Die Antragsbefugnis für einen Antrag auf Festsetzung von Ordnungsmitteln nach § 890 Abs. 1 S. 1 ZPO fehlt dem Gläubiger hier spätestens seit dem Inkrafttreten der Neufassung des § 8 Abs. 3 UWG aufgrund des "Gesetzes zur Stärkung des fairen Wettbewerbs vom 26.11.2020" am 1.12.2021, weil der Gläubiger bis zum heutigen Tage weder in die Liste der qualifizierten Wirtschaftsverbände nach § 8b UWG noch in die Liste der qualifizierten Einrichtungen nach § 4 UKlaG eingetragen worden ist.
Gerade die Neufassung des § 8 Abs. 3 UWG durch das Gesetz zur Stärkung des fairen Wettbewerbs belegt die Richtigkeit der Auffassung, dass die Prozessführungsbefugnis (Antragsbefugnis) von Wirtschaftsverbänden und qualifizierten Einrichtungen auch noch im Ordnungsmittelverfahren fortbestehen muss: Die gegenteilige, im vorliegenden Verfahren vom Gläubiger vertretene Auffassung würde dazu führen, dass bei einer vom Gesetzgeber angeordneten Einschränkung der Prozessführungsbefugnis von Verbänden und Einrichtungen, wie sie das Gesetz zur Stärkung des fairen Wettbewerbs vorgenommen hat, von dieser Gesetzesänderung betroffene, nicht mehr abmahn-, anspruchs- und klageberechtigte Verbände und Einrichtungen noch ein kaum sinnvolles "Rest- und Schattendasein" als "Verwalter" alter Vollstreckungstitel führen könnten. Dies entspricht fraglo...