Leitsatz

1. Der unpfändbare notwendige Unterhalt des Schuldners i.S.d. § 850d Abs. 1 S. 2 ZPO entspricht grundsätzlich dem notwendigen Lebensunterhalt i.S.d. 3. und 11. Kapitels des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch.

2. Die Angemessenheit der Aufwendungen für die Unterkunft ist nach den konkreten Umständen des Einzelfalls unter Berücksichtigung der örtlichen Gegebenheiten konkret zu ermitteln. Dabei ist vorrangig das ortsübliche Mietpreisniveau, wie es sich aus einem qualifizierten Mietspiegel (§ 558d BGB), einem Mietspiegel (§ 558c BGB) oder unmittelbar aus einer Mietdatenbank (§ 558e BGB) ableiten lässt, heranzuziehen.

3. In Fällen, in denen der Schuldner mit anderen Personen in einer Wohnung zusammenlebt und die von ihm aufgewendeten Kosten für Unterkunft und Heizung nicht nur seinen eigenen Wohnbedarf, sondern zugleich den Wohnbedarf dieser Personen decken, ist die Höhe des angemessenen Bedarfs des Schuldners für Unterkunft und Heizung fiktiv nach den Kosten zu ermitteln, die der Schuldner nach den konkreten Umständen des Einzelfalls zur Deckung seines eigenen Wohnbedarfs aufwenden müsste. Das sozialrechtliche Kopfteilprinzip (BSG, Urt. v. 22.8.2013 – B 14 AS 85/12 R, NZM 2014, 681) ist im formalisierten Zwangsvollstreckungsverfahren im Rahmen des § 850d Abs. 1 S. 2 ZPO nicht anzuwenden.

BGH, Beschl. v. 5.7.2018 – VII ZB 40/17

1 I. Der Fall

Vollstreckung wegen privilegierter Ansprüche

Der Gläubiger betreibt gegen den Schuldner die Zwangsvollstreckung wegen Unterhaltsansprüchen eines nichtehelichen minderjährigen Kindes des Schuldners, die gemäß § 7 Abs. 1 UVG auf ihn übergegangen sind. Durch Beschluss des Vollstreckungsgerichts wurden Lohnzahlungsansprüche des Schuldners gegen den Drittschuldner gepfändet und dem Gläubiger zur Einziehung überwiesen.

Streit um die Höhe des Pfändungsfreibetrages

Der Schuldner bewohnt mit seiner Ehefrau und einer gemeinsamen minderjährigen Tochter eine Mietwohnung, deren Warmmiete monatlich 725,32 EUR beträgt. Gemäß § 850d ZPO wurde zugunsten des Schuldners ein Pfändungsfreibetrag vom Nettoeinkommen in Höhe von monatlich 870 EUR sowie zur gleichmäßigen Befriedigung der Unterhaltsansprüche der Personen, die dem unterhaltsberechtigten nichtehelichen Kind gleichstehen, der hälftige Anteil des Nettoeinkommens festgesetzt, das nach Abzug des notwendigen Unterhalts des Schuldners verbleibt. Auf Antrag des Schuldners hat das AG den dem Schuldner verbleibenden Pfändungsfreibetrag vom Nettoeinkommen von 870 EUR auf monatlich 944,66 EUR heraufgesetzt. Hierbei hat es den Mietanteil des Schuldners in Höhe von 471,46 EUR, dies sind ca. 65 % der Mietkosten, in Ansatz gebracht, der der Höhe nach dem Anteil des Einkommens des Schuldners am Familieneinkommen entspricht (1.549,60 EUR Lohn von insgesamt 2.400,21 EUR Familieneinkommen).

Kopfteile oder fiktive Berechnung bei den Wohnkosten?

Die vom Gläubiger hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde, mit der er geltend gemacht hat, zugunsten des Schuldners sei ein nach Kopfteilen zu bemessender Mietanteil in Höhe von 241,77 EUR zu berücksichtigen, wonach sich ein Sockelbetrag für den Schuldner in Höhe von lediglich 714,97 EUR ergebe, ist erfolglos geblieben. Das LG als Beschwerdegericht hat sich für eine fiktive Berechnung entschieden. Mit der vom LG zugelassenen Rechtsbeschwerde möchte der Gläubiger weiterhin die Zurückweisung des vom Schuldner gestellten Erhöhungsantrags erreichen.

2 II. Die Entscheidung

BGH folgt der fiktiven Berechnungsmethode

Das LG hat dem Antrag des Schuldners, den ihm aufgrund des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses (PfÜB) des AG gemäß § 850d Abs. 1 S. 2 ZPO monatlich pfandfrei zu belassenden Betrag auf 944,66 EUR zu erhöhen, zu Recht stattgegeben.

Der unpfändbare notwendige Unterhalt des Schuldners im Sinne des § 850d Abs. 1 S. 2 ZPO entspricht grundsätzlich dem notwendigen Lebensunterhalt im Sinne des SGB III und XI (BGH NJW-RR 2011, 706; BGH FamRZ 2010, 1798; BGH NJW-RR 2008, 733 m.w.N.). Bestandteil des notwendigen Unterhalts im Sinne des § 850d Abs. 1 S. 2 ZPO ist ein Betrag in Höhe des Regelsatzes nach dem SGB XII (BGH NJW-RR 2011, 706). § 35 Abs. 1 S. 1 SGB XII bestimmt weiter, dass der Leistungsbedarf für die Unterkunft in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt wird.

Konkreter Bedarf ist maßgeblich

Die Kosten für Unterkunft und Heizung werden nach konkretem Bedarf ersetzt, soweit sie nicht den angemessenen Umfang übersteigen. Die Angemessenheit der Aufwendungen ist nach den konkreten Umständen des Einzelfalls unter Berücksichtigung der örtlichen Gegebenheiten konkret zu ermitteln. Dabei ist vorrangig das ortsübliche Mietpreisniveau, wie es sich aus einem qualifizierten Mietspiegel (§ 558d BGB), einem Mietspiegel (§ 558c BGB) oder unmittelbar aus einer Mietdatenbank (§ 558e BGB) ableiten lässt, heranzuziehen (vgl. BGH FamRZ 2009, 1747).

Problem: Zusammenleben mit Nichtschuldnern

In Fällen, in denen der Schuldner mit anderen Personen in einer Wohnung zusammenlebt und die von ihm aufgewendeten Kosten für Unterkunft und Heizung nicht nur seinen eigenen Wohnbedarf, so...

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