Leitsatz
Die Entstehung einer Steuerschuld, die der Schuldner begleichen möchte, ist in der Regel kein ausreichender Grund für die Erhöhung des unpfändbaren Betrages.
BGH, Beschl. v. 19.9.2019 – IX ZB 2/18
1 I. Der Fall
Schuldner in der Insolvenz, Finanzamt verlangt Steuern
Am 2.8.2012 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners eröffnet. Der Arbeitgeber des Schuldners zahlte den pfändbaren Teil des Arbeitseinkommens an die Insolvenzverwalterin und den unpfändbaren Teil an den Schuldner aus. Für die Jahre 2012, 2013 und 2014 berücksichtigte das Finanzamt als Einkünfte des Schuldners dessen Arbeitseinkommen und Gewinnanteile als Kommanditist der S. Immobilien GmbH amp Co. KG. Das Finanzamt setzte die Einkommensteuer, die Kirchensteuer und den Solidaritätszuschlag gegen das insolvenzfreie Vermögen des Schuldners mit einem Anteil fest, der dem Verhältnis des unpfändbaren Arbeitseinkommens zur Bemessungsgrundlage entspreche, und verlangte die Zahlung von zuletzt 26.081,39 EUR.
Schuldner stellt Antrag nach § 765a ZPO
Der Schuldner hat am 9.2.2017 unter Bezug auf § 765a ZPO beantragt, die "Lohnpfändung" im laufenden Insolvenzverfahren in Höhe von 26.081,39 EUR aufzuheben und einzustellen. Der Antrag ist in den Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben. Mit seiner vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der Schuldner seinen Antrag weiter. Während des Rechtsbeschwerdeverfahrens hat das Insolvenzgericht dem Schuldner die Restschuldbefreiung erteilt.
2 II. Die Entscheidung
Die Rechtsbeschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.
Beschwerdegericht hat keinen Anspruch gesehen
Das LG hat ausgeführt, der Schuldner habe keinen Anspruch, die zur Insolvenzmasse gezogenen Beträge soweit zu reduzieren, dass die Einkommensteuer zuzüglich Nebenleistungen der Jahre 2012 bis 2014 aus dem sich danach ergebenden insolvenzfreien Vermögen beglichen werden könnte.
Keine einschlägige Pfändungsschutznorm gegeben
Ein solcher Anspruch ergebe sich nicht aus § 850e Nr. 1 ZPO, § 36 Abs. 1 InsO, weil nur die laufende Lohnsteuer zu den steuerrechtlichen gesetzlichen Verpflichtungen im Sinne des § 850e ZPO gehöre, nicht aber eine auf das Gesamteinkommen zu leistende Abschlusszahlung. Ein Anspruch ergebe sich auch nicht aus § 850f Abs. 1 ZPO, § 36 Abs. 1 InsO. Mit dem pfandfreien Betrag verbleibe dem Schuldner der erforderliche Lebensunterhalt. Wenn neue Schulden begründet würden, weil das pfändungsfreie Einkommen nicht ausreiche, um Steuernachzahlungen auszugleichen, begründe das kein besonderes Bedürfnis. Zudem stünden die Belange weiterer Gläubiger der einseitigen Privilegierung eines Gläubigers entgegen. Eine planwidrige Gesetzeslücke liege nicht vor. §§ 850e und 850f ZPO sollten sicherstellen, dass dem Schuldner der notwendige Lebensunterhalt verbleibe und Härten ausgeglichen werden könnten, die durch besondere Bedürfnisse entstünden. Dieser Zweck werde durch die bloße Entstehung neuer Schulden nicht beeinträchtigt. § 850i ZPO ermögliche keine Erhöhung des pfandfreien Einkommens, weil dem Schuldner schon aus dem laufenden Einkommen ein Betrag oberhalb der Pfändungsfreigrenze zufließe.
Auch keine besondere Härte der Zwangsvollstreckung
Auch § 765a ZPO ermögliche keine Erhöhung des Pfändungsfreibetrags. Der Schuldner wende sich hier nicht gegen eine konkrete Vollstreckungsmaßnahme. Der Gesichtspunkt des effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) gebiete keine abweichende Entscheidung. Die Verteilung der Steuerschuld auf Masse und insolvenzfreies Vermögen nach dem Verhältnis der Teileinkünfte führe zwar zu einem misslichen Ergebnis. Das begründe aber weder eine besondere Härte im Sinne des § 765a ZPO, noch fehle es am effektiven Rechtsschutz. Der Schuldner könne sich gegen die Festsetzung der Einkommensteuer wenden.
Der Rechtsweg stimmt
Die Rechtsbeschwerde ist nach § 574 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, § 793 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig. Das Insolvenzgericht hat als besonderes Vollstreckungsgericht (§ 36 Abs. 4 S. 1 InsO) über die Höhe des pfändungsfreien Einkommens des Schuldners gemäß §§ 850e, 850f, 850i ZPO entschieden. In einem solchen Fall bestimmt sich auch der Rechtsmittelzug nach den vollstreckungsrechtlichen Vorschriften (BGH WM 2013, 137 Rn 3). Gleiches gilt für die Entscheidung über den Vollstreckungsschutzantrag nach § 765a ZPO (BGH WM 2009, 124 Rn 7 ff.). Das LG hat die Rechtsbeschwerde zugelassen.
Die angefochtene Entscheidung hält rechtlicher Nachprüfung stand. Auf das Verfahren sind die Vorschriften der Insolvenzordnung in der bis zum 30.6.2014 geltenden Fassung anzuwenden (Art. 103h EGInsO). Der Insolvenzantrag ist vor dem 1.7.2014 gestellt worden.
Rechtsfehlerfrei hat das Beschwerdegericht angenommen, dass die Steuern, auf die sich der Antrag des Schuldners bezieht, gemäß § 850e Nr. 1 ZPO, § 36 Abs. 1 InsO bei der Berechnung des pfändbaren Arbeitseinkommens mitzurechnen sind. § 850e Nr. 1 ZPO schreibt das Nettolohnprinzip fest (MüKo-ZPO/Smid, 5. Aufl., § 850e Rn 1). Nach S. 1 dieser Vorschrift sind für die Ber...