Rechtspfleger schießen über das Ziel hinaus – Amtshaftung?

Die Entscheidung des LG Mühlhausen zeigt – leider wieder einmal – dass "vorauseilender Gehorsam" und der Wunsch, den Schuldner zu schützen, die sachgerechte Durchsetzung von Vollstreckungsansprüchen zeitlich hindern.

Presseverlautbarungen ersetzen nicht harte Tatsachen

Der Presse war zu entnehmen, dass die XYZ in Insolvenz geraten ist. Diese Information reichte einigen wenigen Gerichten, um zu dem Urteil zu gelangen, dass aus Vollstreckungstiteln, die auf die XYZ GmbH oder XYZ AG lauten, die Zwangsvollstreckung nicht mehr betrieben werden kann, bevor sie nicht auf den Insolvenzverwalter als Rechtsnachfolger umgeschrieben sind. Dabei wurde der Begriff der "gerichtsbekannten Tatsache" überdehnt. Zugleich wurde der Blick für die konsequente Prüfung des allein maßgeblichen § 750 ZPO verstellt. Richtigerweise musste der beitreibende Gläubiger aufgefordert werden, seine Berechtigung nachzuweisen – ein Weg, den die überwiegende Zahl der Rechtspfleger beschritten hat und der dann zur Klärung führte.

Erklärungen und zeitlicher Ablauf blieben unbeachtet

Zu den darauf nachgewiesenen Tatsachen gehörte, dass der Insolvenzverwalter bescheinigt hat, dass die auf die XYZ GmbH und die XYZ AG lautenden titulierten Forderungen nicht vom Insolvenzbeschlag betroffen sind. Es hat sich dann weiter herausgestellt, dass die Liquidatoren der XYZ-Gesellschaft den tatsächlich tätigen Inkassounternehmen und Rechtsanwälten zeitlich nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens und nach der erklärten Freigabe der titulierten Forderungen durch den Insolvenzverwalter aus der Insolvenzmasse eine Inkassovollmacht erteilt haben. Damit liegen die Voraussetzungen des § 750 ZPO vor, eine Umschreibung nach § 727 ZPO war weder in der Vergangenheit, noch ist sie jetzt notwendig.

Andere Gerichte entscheiden genau so

Zwangsläufig sind auch andere Gerichte der Auffassung des LG Mühlhausen gefolgt. So hat das LG Köln mit Beschl. v. 22.3.2011 (39 T 30/11) ebenfalls festgestellt, dass öffentlich bekannt ist, dass auf der Gläubigerseite eine so genannte formwechselnde Umwandlung stattgefunden hat und die ursprüngliche XYZ AG deshalb als XYZ GmbH firmiert. Mit der allgemeinen Auffassung in der Rechtsprechung sei davon auszugehen, dass dies keine Rechtsnachfolge im Sinne des § 727 ZPO darstelle. Auch das LG Köln ist von einer ordnungsgemäßen Freigabe der Forderungen durch den Insolvenzverwalter und einer hinreichend bestimmt erteilten Inkassovollmacht ausgegangen. Da die Inkassovollmacht von der XYZ GmbH selbst stamme, könne auch kein Zweifel daran bestehen, dass die Freigabeerklärung des Insolvenzverwalters der Insolvenzschuldnerin bekannt sei.

Für die Sachpfändung gilt das Gleiche

Das AG Leipzig (v. 3.3.2011, 434 M 4722/11), das AG Spandau (v. 17.3.2011, 37 M 8013/11), das AG Osnabrück (v. 14.3.2011, 64 M 30/11), das AG Potsdam (v. 22.2.2011, 48 M 970/11) sowie das AG Freiburg (v. 22.11.2010, 82 M 12038/10) haben den Sachverhalt für die Sachpfändung durch den Gerichtsvollzieher nicht anders beurteilt. Dass die Schuldner gegen diese Entscheidungen nicht im Wege der sofortigen Beschwerde vorgegangen sind, spricht für sich.

Vollstreckungsorgane müssen Vollstreckungsanspruch (Art. 14 GG) durchsetzen

Dabei hat das AG Spandau (a.a.O.) wörtlich ausgeführt: "Die Forderung einer Konkretisierung [der Freigabeerklärung] auf den hiesigen Titel stellt im Hinblick auf den gerichtsbekannten Umfang des Insolvenzverfahrens eine lebensfremde Förmelei dar." Dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen. Der Rechtspfleger muss für den Erlass des PfÜB vom Vortrag des Gläubigers ausgehen. Nur dem entgegenstehende gerichtsbekannte und belegbare Tatsachen können eine abweichende Auffassung rechtfertigen. Allgemeine Zeitungsberichte reichen dazu ebenso wenig aus wie vermeintliche Tatsachenmitteilungen im "Rechtspflegerforum". Der Schuldner ist nicht anzuhören (§ 834 ZPO). Das benachteiligt den Schuldner auch nicht unangemessen, da ihm gegen den erlassenen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss ebenso wie gegen die durchgeführte Sachpfändung die Erinnerung nach § 766 ZPO zusteht, soweit er der Auffassung ist, dass die Zwangsvollstreckung unberechtigt erfolgt. Es ist nicht Aufgabe der staatlichen Vollstreckungsorgane, die Rolle des Schuldners auszufüllen. Dagegen ist es ihre Aufgabe, dem nach Art. 14 GG verfassungsrechtlich garantierten Vollstreckungsanspruch des Gläubigers als Kehrseite des staatlichen Gewaltmonopols Geltung zu verschaffen.

 

Hinweis

Ebenso LG Köln, 22.3.2011, 39 T 30/11; AG Leipzig, 3.3.2011, 434 M 4722/11; AG Spandau, 17.3.2011, 37 M 8013/11; AG Osnabrück, 14.3.2011, 64 M 30/11; AG Potsdam, 22.2.2011, 48 M 970/11; AG Freiburg, 22.11.2010, 82 M 12038/10.

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