Leitsatz
1. Eine gesetzlich unterhaltsberechtigte Person ist bei der Bestimmung der Pfändungsfreigrenze unberücksichtigt zu lassen, wenn ihre Einkünfte 35 % über dem individuellen Regelsatz für den Bezug von Bürgergeld liegen.
2. Krankengeld ist als berücksichtigungsfähiges Einkommen im Rahmen der nach § 850c Abs. 6 ZPO zu treffenden Entscheidung anzusehen.
AG Bad Liebenwerda, Beschl. v. 7.2.2023 – 23 M 178/22
1 Der Fall
Mit Antrag vom 11.1.2023 beantragt der Schuldner, seine Ehefrau wieder als unterhaltsberechtigte Person zu berücksichtigen. Vorangegangen war der Beschluss des AG vom 12.5.2022, der vorsah, dass die Ehefrau des Schuldners bei der Berechnung des unpfändbaren Teils des Arbeitseinkommens nicht als Unterhaltsberechtigte zu berücksichtigen sei (§ 850c Abs. 6 ZPO).
Der Schuldner trägt unter Vorlage von Nachweisen vor, dass seine Ehefrau derzeit nicht erwerbstätig sei und Krankengeld beziehe. Der zum Antrag gehörte Gläubiger ist dem entgegengetreten.
2 II. Die Entscheidung
Nichtberücksichtigung unterhaltsberechtigter Personen wegen eigener Einkünfte
Nach Prüfung der Sach- und Rechtslage war der Antrag abzulehnen. Gemäß § 850c Abs. 6 ZPO kann das Vollstreckungsgericht nach billigem Ermessen anordnen, dass eine nach dem Gesetz unterhaltsberechtigte Person, die eigene Einkünfte hat, bei der Berechnung des unpfändbaren Teils des Arbeitseinkommens ganz oder teilweise unberücksichtigt bleibt. Bei der Berechnung des Bedarfs des Unterhaltsberechtigten sind die nach den sozialrechtlichen Regelungen die Existenzsicherung gewährleistenden Sätze heranzuziehen. Um nicht nur das Existenzminimum zu sichern, sondern einen deutlich darüber liegenden Anteil am Arbeitseinkommen zu erhalten, ist ein Zuschlag von 30 bis 50 % vorzunehmen. Abzulehnen ist der Zuschlag auch nicht allein deswegen, weil keine Erwerbstätigkeit vorliegt (vgl. BGH, 9.7.2020 – IX ZB 38/19).
Krankengeld ist eigenes Einkommen
Die Ehefrau des Schuldners erzielt derzeit ein monatliches eigenes Einkommen in Form von Krankengeld in Höhe von 626,70 EUR (= 30 Tage x 20,89 EUR). Angelehnt an den aktuellen Sozialhilfesatz steht einer verheirateten Person gemäß § 28 SGB XII ein Regelbetrag in Höhe von 451,00 EUR zuzüglich einem hier für angemessen erachteten Zuschlag in Höhe von 35 % (157,85 EUR), mithin insgesamt 608,85 EUR zu. Somit liegt das tatsächliche Einkommen der Ehefrau über den Sozialhilfesätzen nebst o.g. Besserungszuschlag, sodass eine Berücksichtigung nicht auszusprechen war.
3 Der Praxistipp
Abänderung getroffener Entscheidungen
Ändern sich die Voraussetzungen für die Bemessung des unpfändbaren Teils des Arbeitseinkommens, so hat das Vollstreckungsgericht auf Antrag des Schuldners oder des Gläubigers nach § 850g ZPO den Pfändungsbeschluss entsprechend zu ändern. Antragsberechtigt ist auch ein Dritter, dem der Schuldner kraft Gesetzes Unterhalt zu gewähren hat.
Der Drittschuldner kann nach dem Inhalt des früheren Pfändungsbeschlusses mit befreiender Wirkung leisten, bis ihm der Änderungsbeschluss zugestellt wird. Insoweit geht die Dauer des Abänderungsverfahrens zulasten des Schuldners.
Obergrenze ist flexibel
Wann eine gesetzlich unterhaltsberechtigte Person bei der Bemessung der Pfändungsfreibeträge unberücksichtigt bleibt, ist in der Praxis der Vollstreckungsgerichte umstritten und wird ganz unterschiedlich gehandhabt. Ein Teil der Gerichte stellt auf den familienrechtlichen Unterhaltsanspruch ab, ein anderer Teil – wie hier – auf 120 bis 150 % des individuellen Regelsatzes beim Bürgergeld und ein dritter Teil geht von einer Grenze von etwa 600 EUR aus, wenn die gesetzlich unterhaltsberechtigte Person im Haushalt des Schuldners lebt. Die letztgenannte Ansicht überzeugt dabei am meisten, da sie einerseits einen Betrag heranzieht, der den Unterhaltsbedarf ganz allgemein decken sollte, zum anderen hinreichende Flexibilität bietet, den Einzelfall zu berücksichtigen.
Nachdem das Bürgergeld angehoben wurde, würde der Grenzbetrag nach dem AG nunmehr bei 135 % von 506 EUR, d.h. bei 681,10 EUR liegen. Die Ehefrau wäre dann mit 92 % des Freibetrags nach § 850c Abs. 2 ZPO nicht mehr zu berücksichtigen.
FoVo 4/2024, S. 75 - 76