Leitsatz
1. Haben beide Ehegatten die Lohnsteuerklasse 4, ist zu vermuten, dass sie in etwa über das gleiche Nettoeinkommen verfügen.
2. Hiervon ist für einen Antrag auf Nichtberücksichtigung unterhaltsberechtigter Personen nach § 850c Abs. 6 ZPO auszugehen, wenn nicht der Schuldner anderes darlegt und nachweist.
AG Zeitz, Beschl. v. 7.12.2023 – 5 M 574/23
1 Der Fall
Antrag auf Nichtberücksichtigung gesetzlich Unterhaltsberechtigter
Aufgrund des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses ist das Arbeitseinkommen des Schuldners gepfändet worden. Der Gläubiger hat mit Schreiben vom 9.11.2023 beantragt, die Ehefrau des Schuldners bei der Berechnung des unpfändbaren Teils des Arbeitseinkommens gemäß § 850c Abs. 6 ZPO als Unterhaltsberechtigte vollständig unberücksichtigt zu lassen. Zur Begründung führte er aus, dass der Schuldner sein Arbeitseinkommen in der Steuerklasse 4 abrechnen lässt. Daher sei davon auszugehen, dass seine Ehefrau ein monatliches Einkommen in etwa gleicher Höhe wie der Schuldner selbst erzielt und somit aus eigenen Einkünften für ihren Lebensunterhalt sorgen kann. Die Ehefrau sei daher nicht als unterhaltsberechtigte Person des Schuldners zu berücksichtigen. Dem Schuldner wurde Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Eine Stellungnahme ist nicht eingegangen.
2 II. Die Entscheidung
Da der Schuldner den Sachvortrag des Gläubigers nicht bestritten hat, war auf der Grundlage dieser Angaben zu entscheiden.
Lohnbescheinigung genügt zur Glaubhaftmachung
Der Gläubiger hat durch Vorlage der Lohnbescheinigung des Schuldners glaubhaft gemacht, dass dieser sein Einkommen über die Steuerklasse 4 abrechnet. Ehegatten haben grundsätzlich die Möglichkeit, die Steuerklassen 4+4 oder 3+5 zu wählen. Die Steuerklassen 4+4 erhalten Verheiratete nach der Hochzeit automatisch. Dabei werden die Einkommen gleichmäßig besteuert. Ein Wechsel in die Steuerklassen 3+5 vollziehen Ehegatten in der Regel immer dann, wenn sie sehr unterschiedlich hohe Einkommen haben, um den Lohnsteuerabzug für den Mehrverdiener zu reduzieren. Einen Steuerklassenwechsel zu 3+5 haben der Schuldner und seine Ehefrau nicht vollzogen. Es besteht daher die Vermutung, dass die Ehegatten über etwa gleich hohe Einkommen verfügen.
Da der Schuldner diese Annahme nicht bestritten bzw. widerlegt hat, ist der Argumentation des Gläubigers zu folgen und dem Antrag auf Nichtberücksichtigung der Ehefrau gemäß § 850c Abs. 6 ZPO stattzugeben.
3 Der Praxistipp
Lohnabrechnung konsequent herausfordern
Die Entscheidung zeigt, dass der Gläubiger bzw. sein Bevollmächtigter stets darauf dringen sollten, vom Drittschuldner die Lohnabrechnungen fortlaufend zu erhalten. Der Bundesgerichtshof hat bereits 2012 entschieden, dass der Gläubiger darauf einen unmittelbaren Anspruch gegen den Schuldner hat (BGH v. 19.12.2012 – VII ZB 50/11, FoVo 2013, 56). Das entsprechende Verlangen ist in Modul M der Anlage 5 zur ZVFV, dem Entwurf eines Beschlusses zum Erlass des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses, zu stellen.
Nichtberücksichtigung von Kindern bei geteilter Unterhaltspflicht
Verfügt der Ehegatte – wie im vorliegenden Fall – über eigenes Einkommen und sind noch gesetzlich unterhaltsberechtigte Kinder vorhanden, muss beachtet werden, dass die Unterhaltspflicht beide Elternteile trifft. Genügt das Einkommen also über die eigenen Bedürfnisse des Ehegatten hinaus auch noch, um seine Unterhaltspflicht gegenüber den gemeinsamen Kindern zu erfüllen, so kann auf gleicher Grundlage beantragt werden, diese zur Hälfte nicht zu berücksichtigen. Dies kann über Modul R in Anlage 5 zur ZVFV (Beschlussentwurf PfÜB) mit dem PfÜB-Antrag geschehen oder nachfolgend formlos, wenn erst dann die entsprechenden Erkenntnisse zur Steuerklasse vorliegen.
FoVo 7/2024, S. 131 - 132