I. Das Problem
Mandant tituliert eine Forderung gegen eine Minderjährige
Unser Auftraggeber hat eine Forderung von 2019 aus einer Krankenfahrt/Rettungsdienst gegen eine zum Entstehungszeitpunkt 13-jährige Schuldnerin drei Jahre später (2022) per Vollstreckungsbescheid (VB) tituliert. Der VB war dabei gegen die minderjährige Schuldnerin selbst gerichtet. Die Schuldnerin war zum Zeitpunkt der Zustellung von Mahnbescheid und Vollstreckungsbescheid also 16 Jahre alt. Der uns nicht namentlich bekannte Vater wusste von dieser Forderung und hatte uns im Jahr 2022 angerufen und mitgeteilt, dass er sich kümmern wolle. Ggf. haben die Eltern auch den Rettungsdienst damals gerufen. Tatsächlich hat er sich nicht gekümmert.
Gerichtsvollzieher moniert die Zustellung als Vollstreckungsvoraussetzung
Der Gerichtsvollzieher moniert nun, dass die Zustellung des VB nicht an die gesetzlichen Vertreter erfolgte und damit die Zwangsvollstreckung nicht zulässig sei, da eine Grundvoraussetzung der Vollstreckung nicht vorliegt. Er beruft sich auf folgende Urteile: AG Ansbach, Beschl. v. 15.3.1994 – M 956/94, LG Bielefeld, 18.1.2003 – 25 T 762/02.
Was können wir jetzt tun?
Heute ist die Schuldnerin 18 Jahre alt. Kann der Gerichtsvollzieher mit der erneuten Zustellung des Vollstreckungsbescheides nochmals an die nun volljährige Schuldnerin beauftragt werden, obwohl der Mahnbescheid (und VB) damals an die Minderjährige erging? Wäre dann die Zwangsvollstreckung zulässig? Was sind unsere Möglichkeiten zum jetzigen Zeitpunkt? Ich will vermeiden, eine Nichtigkeitsklage nach § 579 ZPO zu kassieren.
Ich hatte ein Urteil des BGH entdeckt (Urt. v. 15.1.2014 – VIII ZR 100/13), der sich mit der Frage der Auswirkung einer unwirksamen Zustellung auf die Einspruchsfrist befasste (es ging da nicht um minderjährige Schuldner, aber um andere nicht prozessfähige Personen [Alkohol, Demenz], dieses würde ich dann aber auch für meinen Fall heranziehen). Überraschenderweise entschied er zugunsten des Gläubigers – eine unwirksame Zustellung löst die Einspruchsfrist aus.
Bei mir geht es schlicht um Titel, (Klausel), Zustellung. Die Zustellung ist damals nicht wirksam erfolgt.
II. Die Lösung
Der erste Fehler: Der Mandant tituliert selbst
Es ist geradezu ein Klassiker, dass der Mandant meint, das gerichtliche Mahnverfahren zeige keine Schwierigkeiten. Aus diesem Grunde sei es für ihn sinnvoll, das Liquiditätsrisiko bezüglich des Schuldners dadurch abzumildern, dass er die Titulierung selbst veranlasse. Der vorliegende Fall zeigt, dass eine Vielzahl von Fallen droht. Er zeigt zwei davon auf:
▪ |
Zunächst kann materiell-rechtlich diskutiert werden, wer bei der Beauftragung einer Leistung aus dem Spektrum der Gesundheitsvorsorge eines Minderjährigen Vertragspartner geworden ist. Vieles spricht dafür, dass nicht der Minderjährige, sondern die Eltern den Vertrag schließen und deshalb auch die Vergütung schulden (BGH, 12.5.2022 – III ZR 78/21). |
▪ |
Sodann ist ein Minderjähriger nicht prozessfähig, sodass er durch die Eltern als gesetzliche Vertreter vertreten wird, §§ 51 Abs. 1, 170 Abs. 1 ZPO i.V.m. §§ 104 ff. BGB. Den Eltern gegenüber sind dann auch die entsprechenden Zustellungen zu veranlassen. Für die Wirksamkeit des Vollstreckungsbescheides muss dieser wirksam zugestellt sein, § 699 Abs. 4 ZPO. |
Es fehlt an einer wirksamen Zustellung
Im vorliegenden Fall fehlt es damit an einem wirksamen Vollstreckungsbescheid, weil dieser nur an die damals Minderjährige zugestellt wurde.
Hinweis
Die Unwirksamkeit der Zustellung kann aber dadurch geheilt werden, dass das zuzustellende Schriftstück dem gesetzlichen Vertreter tatsächlich zugeht (BGH NJW 2015, 1760).
Infolgedessen muss der Vollstreckungsbescheid erneut zugestellt werden. Solange die Minderjährigkeit andauert, ist an den gesetzlichen Vertreter des Minderjährigen zuzustellen, danach an den inzwischen Volljährigen.
Wenn der BGH hilft, ohne zu helfen
Der BGH (NJW 2008, 2125; bestätigt durch BGH, 15.1.2024 – VIII ZR 100/13) hat zwar – wie von der Leserin schon gesehen – entschieden, dass die unter Verstoß gegen § 170 Abs. 1 ZPO erfolgte Zustellung eines Vollstreckungsbescheids an eine prozessunfähige Partei die Einspruchsfrist dann in Gang setzt, wenn aus dem zuzustellenden Titel nicht erkennbar und dem Gläubiger auch nicht bekannt war, dass die Titelschuldnerin minderjährig ist. Eine rechtlich schützenswerte Rechtsposition kann allenfalls dann entstehen, wenn der Gläubiger Vertrauensschutz in Anspruch nehmen könnte.
Hinweis
Im konkreten Fall ist die Entscheidung damit schon nicht einschlägig, weil sich ja der Vater der minderjährigen Titelschuldnerin gemeldet hatte, d.h. der Umstand bekannt war. Im Übrigen kann dem Gläubiger aufgrund des Krankentransportes einer 13-Jährigen deren Minderjährigkeit kaum entgangen sein. Insoweit kommt es nicht darauf an, dass die Auffassung durchaus kritisch gesehen wird (abl. AG Hamburg NJW-RR 1998, 791; Zöller/Althammer, ZPO, 35. Aufl. 2024, § 52 Rn 13; Jacoby, ZMR 2007, 327).
Auch der BGH sieht dann allerdings die Möglichkeit der proz...