Leitsatz
Zahlungen von Beihilfestelle und Krankenversicherung sind zweckgebunden und daher dem Vollstreckungszugriff der Gläubiger zu entziehen.
AG Reutlingen, Beschl. v. 12.1.2017 – 21 M 3308/15
1 I. Der Fall
Freigabe von Erstattungen
Der Gläubiger hat das Guthaben der Schuldnerin bei ihrem Kreditinstitut gepfändet. Die Schuldnerin ist als Beamtin beschäftigt und erhält daher im Krankheitsfalle Beihilfenrückerstattung in ihrer privaten Krankenversicherung, um ihre Krankheitskosten zu decken. Diese Leistungen gehen auf ihrem als P-Konto geführten Girokonto ein. Die Schuldnerin hat die Freigabe mehrerer einzelner Zahlungen gemäß § 850k Abs. 4 ZPO beantragt.
2 II. Die Entscheidung
Gemäß § 765a ZPO kann das Vollstreckungsgericht die Zwangsvollstreckung einstellen oder beschränken, wenn diese für den Schuldner eine unbillige Härte bedeutet, die mit den guten Sitten nicht vereinbar wäre. Für die Anwendung von § 850k Abs. 4 ZPO fehlt es zumindest für die Zahlungen der Beihilfe an einer Grundlage in dieser speziellen Vorschrift, mithin war der Antrag in einen Antrag nach § 765a ZPO umzudeuten. Es kann nicht der Schuldnerin angelastet werden, die Details des Zwangsvollstreckungsrechts nicht zu kennen.
Grundsätzlich verlieren auch unpfändbare Zahlungen ihre Unpfändbarkeit mit Eingang auf dem Konto des Schuldners, da in diesem Moment der Anspruch des Schuldners auf diese Zahlungen erledigt und zu einem Auszahlungsanspruch des Schuldners gegen die Bank in derselben Höhe wird. Folgt man dieser Ansicht, wären sämtliche unpfändbare Beträge rein durch die Auszahlung auf ein Konto plötzlich pfändbar. Die Unpfändbarkeit der Zahlungen der Krankenkasse ergibt sich aus § 850b Abs. 1 Nr. 4 ZPO, die der Beihilfezahlungen aus der Entscheidung des BGH vom 5.11.2004 (IXa ZB 17/04).
Es wäre im höchsten Maße unbillig und liefe der Intention des Gesetzgebers zuwider, wenn dieser Schutz durch eine simple Pfändung des Schuldnerinnenkontos umgangen werden könnte. Der ein Konto pfändende Gläubiger darf nicht besser gestellt sein als ein Gläubiger, der den Anspruch selbst pfänden möchte. In gleichem Maße darf ein Schuldner nicht allein schon deswegen schlechter gestellt werden, weil sein Konto gepfändet ist und nicht der Anspruch selbst. Diese Gleichstellung versuchte der Gesetzgeber durch die Vorschrift des § 850k Abs. 4 ZPO zu gewährleisten. Die Schuldnerin ist auf die eingehenden Zahlungen von Beihilfestelle und Krankenversicherung dringend angewiesen, um bereits entstandene Krankheitskosten zu decken. Die Zahlung sind daher zweckgebunden und sind dem Zugriff durch Gläubiger zu entziehen.
3 Der Praxistipp
Das Gericht widerlegt sich selbst
Das AG widerlegt sich selbst, wenn es eingangs auf den Pfändungsschutz nach § 765a ZPO abstellt, weil § 850k Abs. 4 ZPO keinen Schutz biete, um im nächsten Absatz darzulegen, dass die Leistungen der Krankenversicherung nach § 850b Abs. 1 Nr. 4 ZPO unpfändbar sind. § 765a ZPO ist eine Ausnahmevorschrift, an die strenge Voraussetzungen gebunden sind, und gerade keine Billigkeitsvorschrift.
Pfändungsschutz für Erstattungen der Krankenkasse
Bezüge aus Witwen-, Waisen-, Hilfs- und Krankenkassen, die ausschließlich oder zu einem wesentlichen Teil zu Unterstützungszwecken gewährt werden, ferner Ansprüche aus Lebensversicherungen, die nur auf den Todesfall des Versicherungsnehmers abgeschlossen sind, wenn die Versicherungssumme 3.579 EUR nicht übersteigt, sind nach § 850k Abs. 4 i.V.m. § 850b Abs. 1 Nr. 4 ZPO zwangslos unpfändbar. Es bedurfte deshalb keines Rückgriffs auf § 765a ZPO, der nicht einschlägig war.
Hinweis
Diese Einordnung eröffnet dem Gläubiger zumindest die Möglichkeit einer Billigkeitspfändung nach § 850b Abs. 2 ZPO, wenn andere Vollstreckungsmaßnahmen erfolglos waren und die Pfändung der Billigkeit entspricht, etwa weil die Vollstreckungsforderung aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung stammt und die Krankheitskosten schon mit anderen Mitteln getilgt wurden.
Pfändungsschutz bei Beihilfeleistungen
Beamtenrechtliche Ansprüche auf Beihilfe im Krankheitsfall sind nach Ansicht des BGH (NJW-RR 2005, 720), der insoweit dem BVerwG folgt, höchstpersönlicher Natur und daher weder abtretbar noch pfändbar noch einer Aufrechnung zugänglich, §§ 394, 399 BGB, § 851 Abs. 1 ZPO. Gleiches gelte, wenn eine Zweckbindung vorliege. Den Pfändungsschutz leitet der BGH dabei aus § 851 Abs. 1 ZPO und § 850a Nr. 5 ZPO analog her. Zumindest § 850a ZPO ist aber in § 850k Abs. 4 ZPO genannt, so dass hierauf abzustellen war. Eines Rückgriffs auf § 765a ZPO bedarf es auch hier also nicht.
§ 765a ZPO als Ausnahmevorschrift sehen
Soweit § 765a ZPO zur Anwendung gebracht wird, muss der Charakter als Ausnahmevorschrift gesehen werden. Anzuwenden ist § 765a ZPO nur dann, wenn im Einzelfall das Vorgehen des Gläubigers nach Abwägung der beiderseitigen Belange zu einem untragbaren Ergebnis führen würde (st. Rspr. vgl. nur BGH FoVo 2011, 63). Das begründet zunächst die Subsidiarität gegenüber den speziellen Pfändungsschutzvorschriften. Es ist also nicht möglich, den danach bewuss...