I. Das Problem
Herausgabe von Arbeitsvertrag und Kontoauszügen
Wir betreiben im Auftrag des Gläubigers die Zwangsvollstreckung aus einem rechtskräftigen Urteil sowie einem Kostenfestsetzungsbeschluss. Wir haben den Arbeitslohn und das Konto gepfändet. Auszahlungen haben sich daraus nicht ergeben. Der Schuldner arbeitet allerdings im Unternehmen eines Verwandten. Nach der Drittschuldnererklärung erhält er kein pfändbares Arbeitseinkommen. Wir haben hieran aber Zweifel und würden uns gerne den Arbeitsvertrag und die Kontoauszüge – um zu sehen, ob das Arbeitseinkommen überhaupt auf diesem Konto eingeht – ansehen. Die Zweifel rühren auch daher, dass weder der Drittschuldner noch der Schuldner die Unterlagen herausgeben.
Wie können wir weiter vorgehen?
II. Die Lösung
Schuldner ist zur Herausgabe verpflichtet
Nach § 836 Abs. 3 S. 1 ZPO ist der Schuldner verpflichtet, dem Gläubiger die über die Forderung vorhandenen Urkunden herauszugeben. Das sind Urkunden, die den Gläubiger zur Empfangnahme der Leistung berechtigt legitimieren, und solche, die den Bestand der Forderung beweisen oder sonst der Ermittlung oder dem Nachweis ihrer Höhe, Fälligkeit und Einredefreiheit dienen (BGH MDR 2013, 548 = NJW-RR 2013, 766; Zöller/Herget, ZPO, 34. Aufl. 2022, § 836 Rn 13). Dass bei der Pfändung von Arbeitslohn und Kontoguthaben die Lohnabrechnungen, der Arbeitsvertrag und die Kontoauszüge dazugehören, kann nicht ernsthaft in Zweifel gezogen werden (vgl. zu den Kontoauszügen BGH v. 9.2.2012 – VII ZB 49/10 und zu Lohnabrechnungen BGH v. 28.6.2006 – VII ZB 142/05; zum Arbeitsvertrag AG Gummersbach v. 20.10.2016 – 61 M 1986/16 und Musielak/Voit/Flockenhaus, ZPO, 19. Aufl. 2022, § 836 Abs. 3 Rn 7c)
Hinweis
Der Ansatz des Gläubiger(-vertreter)s, nicht nur den Arbeitsvertrag herauszuverlangen, ist klug. Der Arbeitsvertrag erlaubt zunächst eine Prüfung, welcher Art die ausgeübte Tätigkeit ist und in welchem zeitlichen Umfang ihr nachgegangen wird. Das erlaubt Rückschlüsse auf die angemessene Vergütung und offenbart ggfs. Fälle der Lohnverschiebung oder Lohnverschleierung nach § 850h ZPO. Gerade bei verwandtschaftlichen Beziehungen ist hier zumindest ein gesundes Misstrauen gerechtfertigt. Auch wird regelmäßig ein P-Konto unterhalten, das Gehalt dann aber über ein anderes Konto bei einem anderen Kreditinstitut gesteuert. Die Gegenkontrolle über die – nur vom Schuldner zu erlangenden – Kontoauszüge ist deshalb sinnvoll.
Gegenstände der Herausgabe im PfÜB bezeichnen
Nach § 836 Abs. 3 ZPO können die Urkunden von dem Gerichtsvollzieher beim Schuldner allein aufgrund des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses weggenommen werden. Sie sollten dabei gleichwohl im Beschluss unbedingt exakt bezeichnet sein.
Das kann zwar nachgeholt werden, sollte aber nach Möglichkeit schon in den zu erlassenden Pfändungs- und Überweisungsbeschluss mit aufgenommen werden. Gleiches gilt für erforderliche Auskünfte. Auf S. 8 sieht das verbindliche Formular entsprechende Eintragungsmöglichkeiten vor.
Pflicht kann zwangsweise durchgesetzt werden
§ 836 Abs. 3 ZPO beschränkt sich darauf, festzustellen, dass die Herausgabe im Wege der Zwangsvollstreckung erwirkt werden kann. Näher wird dies nicht konkretisiert.
Die Herausgabevollstreckung ist in den §§ 883 ff. ZPO geregelt. Die Wegnahme erfolgt durch den Gerichtsvollzieher aufgrund des Vollstreckungstitels und des Überweisungsbeschlusses (LG Limburg DGVZ 1975, 11; AG Dortmund DGVZ 1980, 29), wenn in ihm die Urkunden bestimmt, d.h. konkret und genau, bezeichnet sind (LG Freiburg JurBüro 1994, 368; LG Göttingen JurBüro 1994, 369; vgl. insgesamt Herget, in: Zöller/Herget, ZPO, § 836 Rn 16). Dafür wird die Angabe im Arbeitsvertrag mit dem Drittschuldner und Kontoauszüge bei der Drittschuldnerin genügen müssen. Ziel der Bezeichnung ist allein, dass der Gerichtsvollzieher die Unterlagen identifizieren und ggfs. von anderen Unterlagen unterscheiden kann.
Ausgehend davon, dass der Gläubiger(-vertreter) den Schuldner bereits zur Herausgabe aufgefordert hat, muss also der Gerichtsvollzieher mit der Herausgabevollstreckung beauftragt werden.
Hinweis
Da eine Herausgabepflicht und nicht unmittelbar eine Geldforderung vollstreckt wird, besteht kein Formularzwang nach der Gerichtsvollzieherformular-Verordnung (GVFV). Vielmehr kann der Antrag formlos gestellt werden. Eine Frist ist hierfür nicht geregelt. Da es sich um eine Maßnahme der Mobiliarzwangsvollstreckung handelt, sind neben dem Rechtsanwalt auch Inkassodienstleister postulationsfähig.
Muster: Antrag auf Herausgabevollstreckung nach §§ 836 Abs. 3 S. 3, 883 ZPO
Muster: Antrag auf Herausgabevollstreckung nach §§ 836 Abs. 3 S. 3, 883 ZPO
An das
Amtsgericht …
– Gerichtsvollzieherverteilungsstelle –
in …
In der Zwangsvollstreckungssache
… ./. …
zeige ich an, dass ich den Gläubiger vertrete.
Aufgrund des beigefügten Titels kann der Gläubiger vom Schuldner … EUR verlangen. Insoweit hat das Amtsgericht … am … unter dem Aktenzeichen … den beiliegenden Pfändungs- und Überweisungsbeschluss erlassen, durch den die Forderungen des Schuldner...