Leitsatz
1. Der Schuldner, der Sozialleistungen bezieht, ist ausreichend über die §§ 55 SGB I und 850k ZPO geschützt, die Anwendung des § 765a ZPO würde zu einer unzulässigen Umgehung dieser Norm führen.
2. Die soziale Existenz des Schuldners ist durch eine Kontenpfändung nicht gefährdet, da über die §§ 55 SGB I und 850k ZPO ausreichender Schutz gewährleistet ist.
3. Die Gewährung von Vollstreckungsschutz nach § 765a ZPO kann nicht vom Verhalten Dritter oder auch des Drittschuldners abhängig gemacht werden.
4. Gegen die Kündigung der Bankverbindung durch die Drittschuldnerin infolge einer Pfändung muss der Schuldner gegebenenfalls prozessgerichtlich vorgehen, die Anwendung des § 765a ZPO ist insoweit ausgeschlossen.
AG Hannover, 22.1.2009 - 705 M 56287/08
1 Der Fall
Kontopfändung als besondere Härte?
Der Gläubiger hat aufgrund eines PfÜB des AG die angeblichen Ansprüche der Schuldnerin gegen dessen Kreditinstitut als Drittschuldnerin aus der bestehenden Geschäftsverbindung, insbesondere gegenwärtige und zukünftig zu ihren Gunsten entstehende Salden gepfändet und zur Einziehung überwiesen. Hiergegen wendet sich der Schuldner mit einem Antrag nach § 765a ZPO.
2 Die Entscheidung
§ 765a ZPO ist Ausnahmevorschrift
§ 765a ZPO ermöglicht den Schutz gegen Vollstreckungsmaßnahmen, die wegen ganz besonderer Umstände eine Härte für den Schuldner bedeuten, die mit den guten Sitten nicht zu vereinbaren ist. Diese Vorschrift ist als Ausnahmevorschrift eng auszulegen. Anzuwenden ist § 765a ZPO nur dann, wenn im Einzelfall das Vorgehen des Gläubigers nach Abwägung der beiderseitigen Belange zu einem untragbaren Ergebnis führen würde (vgl. BGHZ 44, 138, 143; Stein/Jonas/Münzberg, ZPO, 22. Aufl., § 765a Rn 5 ff.; Zöller/Stöber, ZPO, 27. Aufl., § 765a Rn 5 ff.; Musielak/Lackmann, ZPO, 6. Aufl., § 765a Rn 5 ff.). Der Gesetzgeber hat mit der restriktiven Fassung der Vorschrift klarstellen wollen, dass nicht jede Vollstreckungsmaßnahme, die für den Schuldner eine unbillige Härte bedeutet, die Anwendung der Härteklausel rechtfertigt. Die Vollstreckung soll erst an der Grenze der Sittenwidrigkeit haltmachen (vgl. Gaul, Treu und Glauben sowie gute Sitten in der Zwangsvollstreckung, Festschrift für Baumgärtel, S. 75, 85).
Vollstreckung selbst ist keine besondere Härte
Keinesfalls reicht es demnach aus, dass in der Durchführung einer Zwangsvollstreckungsmaßnahme in der Regel stets eine für den Schuldner durchaus deutlich fühlbare Härte liegen wird und sie insoweit Beschränkungen seiner Verfügungsgewalt mit sich bringt; dies liegt nun einmal in der Natur der Sache und ist gesetzliche Folge der Kontokorrentpfändung. Es ist unbeachtlich, ob der Schuldner bereits die eidesstattliche Versicherung abgegeben hat oder nicht, weil diese gerade dazu dient, dem Gläubiger Vollstreckungsmaßnahmen zu eröffnen, sie macht die (weitere) Zwangsvollstreckung gegen den Schuldner gerade nicht unmöglich oder gar unzulässig (siehe Thomas/Putzo, ZPO, 22. Aufl., § 807 Rn 1; Zöller/Stöber, ZPO, 27. Aufl., § 807 Rn 1).
Nur krasse Ausnahmefälle sind erfasst
Das Ergebnis des § 765a ZPO kann in der Regel nicht sein, das Girokonto des Schuldners aufgrund der Verhaltensweise einiger Banken dem Vollstreckungszugriff des Gläubigers völlig zu entziehen, obwohl mit den § 55 SGB I und § 850 k ZPO ausreichender Schutz bereitsteht und die ausgebrachte Kontopfändung die Maßnahme ist, die dem Gläubiger am aussichtsreichsten erscheint. Die Anwendung des § 765a ZPO, der eine absolute Ausnahmevorschrift und somit eng auszulegen ist, ist also demnach einzig und allein auf besonders krasse Fälle beschränkt.
Das reguläre gesetzliche Schutzsystem reicht
Die Kontokorrentpfändung ist eine vom Gesetzgeber für zulässig erachtete Zwangsvollstreckungsmaßnahme, Pfändungsbeschränkungen bestehen nicht, auch eine eventuelle Unpfändbarkeit wirkt nur beim Leistungsträger direkt, nicht bei der Kontenpfändung bei einem Kreditinstitut (vgl. Zöller/Stöber, ZPO, 27. Aufl., § 829 Rn 33 "Kontokorrent"). Gehen auf dem gepfändeten Konto Einkünfte der in den §§ 850 bis 850b ZPO bezeichneten Art des Schuldners ein, so könnte das Vollstreckungsgericht gemäß § 850k ZPO auf Antrag des Schuldners pfandfreie Einkommensteile freigeben (vgl. BVerfG NJW 2003, 279). Der BGH (InVo 2007, 195 = NJW 2007, 6034) hat sich auf den Standpunkt gestellt, dass auch bei Sozialleistungen § 850k ZPO anzuwenden ist; hinsichtlich des gemäß § 55 Abs. 4 SGB I unpfändbaren Betrags laufender künftiger Sozialleistungen kann in entsprechender Anwendung des § 850k ZPO neben dem Spezialschutz des § 55 SGB I Pfändungsschutz gewährt werden. Die regelmäßig wiederkehrenden Leistungen aus Arbeitseinkommen und/oder Sozialleistungen sind ausreichend über die § 850k ZPO und § 55 SGB I geschützt, wenn sie auf dem gepfändeten Konto des Schuldners eingehen, dass der Schuldner dabei selbst die Initiative ergreifen muss, ändert daran nichts (AG Hannover ZVI 2007, 130; LG Traunstein Rpfleger 2003, 309); eine Antragstellung im Sinne des § 850k ZPO ist dem Schuldner also durchaus zuzumuten. Einer Aufhebung de...