Leitsatz
Pfändet der Gläubiger in eine dem Schuldner eröffnete Kreditlinie, so entsteht ein Pfandrecht erst mit dem Abruf der Kreditmittel als Rechtshandlung des Schuldners.
BGH, 9.6.2011 – IX ZR 179/08
1 I. Der Fall
Finanzamt pfändet Konto
Der Kläger ist Insolvenzverwalter. Das Finanzamt des beklagten Landes erließ am 21.10.2002 wegen Steuerrückständen von 10.127,36 EUR eine Pfändungs- und Überweisungsverfügung, durch die alle Ansprüche der Schuldnerin gegen ein Kreditinstitut aus dem dort eingerichteten Konto der Schuldnerin unter Anordnung der Einziehung gepfändet wurden. Die Verfügung bezog sich auch auf alle der Schuldnerin gegenwärtig und künftig gegen das Kreditinstitut zustehenden Ansprüche auf Auszahlung, Gutschrift und Überweisung an sich und an Dritte, auch aus Kreditmitteln aus bereits abgeschlossenen und künftigen Kreditverträgen. Auf Veranlassung der Schuldnerin überwies das Kreditinstitut am 28.10.2002 von dem Konto 10.127,36 EUR an das Finanzamt.
Zweimal wird gezahlt
Mit einer weiteren Pfändungs- und Überweisungsverfügung des Finanzamts vom 30.1.2003 wegen einer Steuerschuld der Schuldnerin in Höhe von 12.810,85 EUR pfändete das beklagte Land erneut in gleicher Weise dieses Konto. Auf Veranlassung der Schuldnerin überwies das Kreditinstitut daraufhin im Februar 2003 von diesem Konto an das Finanzamt den Gesamtbetrag in drei Tranchen.
Alle Zahlungen aus dem Dispositionskredit
Alle Zahlungen erfolgten aus dem der Schuldnerin eingeräumten Kontokorrentkredit, der auch nach den einzelnen Zahlungen nicht überschritten war. Der Kläger verlangt aus Insolvenzanfechtung gemäß § 133 Abs. 1 InsO Rückzahlung der an das Finanzamt überwiesenen Beträge von insgesamt 22.938,21 EUR. Das LG hat der Klage stattgegeben, während das OLG sie abgewiesen hat.
2 II. Die Entscheidung
Überweisungen sind als Rechtshandlungen zu qualifizieren
Das von dem beklagten Land jeweils erlangte Pfändungspfandrecht beruhte jeweils auf einer Rechtshandlung der Schuldnerin. Zutreffend ist das OLG davon ausgegangen, dass die von der Schuldnerin veranlassten Überweisungen anfechtbare Rechtshandlungen im Sinne des § 133 Abs. 1 Satz 1 InsO sind. Diese Vorschrift setzt als Rechtshandlung ein willensgeleitetes, verantwortungsgesteuertes Handeln des Schuldners voraus. Der Schuldner muss darüber entscheiden können, ob er eine Leistung erbringt oder verweigert. Diese Voraussetzungen sind zweifellos zu bejahen, wenn der Schuldner eine Überweisung veranlasst, mögen für den Zahlungsempfänger auch zuvor die Ansprüche auf Auszahlung gepfändet und zur Einziehung überwiesen worden sein (BGHZ 162, 143; BGH ZIP 2008, 131 Rn 16; BGH ZIP 2009, 1674; BGH ZIP 2011, 531).
Objektive Gläubigerbenachteiligung ist gegeben
Zu Unrecht hat das OLG jedoch die gem. § 129 Abs. 1 InsO stets erforderliche objektive Gläubigerbenachteiligung mit der Begründung verneint, der Beklagte habe ein unanfechtbares Pfändungspfandrecht erworben, weil es insoweit an einer willensgesteuerten Rechtshandlung der Schuldnerin gefehlt habe, denn diese habe an der Pfändungsmaßnahme nicht mitgewirkt. Der Zeitpunkt der Vornahme einer Rechtshandlung bestimmt sich nach § 140 InsO. Nach Abs. 1 dieser Bestimmung kommt es auf den Zeitpunkt an, in dem die rechtlichen Wirkungen der Handlung eintreten. Bei bedingten und befristeten Rechtshandlungen bleibt allerdings der Eintritt der Bedingung oder des Termins außer Betracht (§ 140 Abs. 3 InsO). Eine Forderungspfändung ist grundsätzlich in dem Zeitpunkt vorgenommen, in dem der Pfändungsbeschluss dem Drittschuldner zugestellt wird, weil damit ihre rechtlichen Wirkungen eintreten (§ 829 Abs. 3 ZPO, § 309 Abs. 2 Satz 1 AO). Soweit sich jedoch die Pfändung auf eine künftige Forderung bezieht, wird ein Pfandrecht erst mit deren Entstehung begründet, so dass auch anfechtungsrechtlich auf diesen Zeitpunkt abzustellen ist (BGHZ 157, 350).
Pfändung der Ansprüche aus dem Dispositionskredit ist wirksam
Die Pfändung der Ansprüche der Schuldnerin aus der offenen Kreditlinie war wirksam (BGHZ 147, 193). Ein Pfandrecht an Forderungen aus dem Kreditverhältnis wurde dadurch jedoch vor einem Abruf der Einzelbeträge durch die Schuldnerin nicht begründet. Denn bei einem Dispositionskredit besteht vor dem Abruf durch den Darlehensnehmer noch kein Anspruch auf Auszahlung gegen die Bank, den ein Pfandgläubiger ohne Mitwirkung des Kreditinhabers einziehen könnte. Der Kontokorrentkredit stellt es vielmehr ins Belieben des Kontoinhabers, ob er die Kreditlinie in Anspruch nimmt. Deshalb wird ein Anspruch auf Auszahlung erst durch den Abruf des Kunden begründet.
Aber: Pfändungspfandrecht entsteht erst beim Abruf
Vor dem Abruf des Kontoinhabers ist demgemäß kein Anspruch auf Auszahlung gegen die Bank vorhanden, der einem Abtretungs- oder Pfändungsgläubiger das Recht geben könnte, sich ohne Mitwirkung des Kontoinhabers Kreditmittel auszahlen zu lassen. Ob ein solcher Anspruch begründet wird, hängt damit allein von der persönlichen Entscheidung des Kontoinhabers ab. Diese Befugnis kann der Gläubiger nicht durch Pfändung des Abrufrechts...