Leitsatz
1. Unterhalt des Kindesvaters ist bei der Berechnung des unpfändbaren Teils des Arbeitseinkommen der Mutter als Schuldnerin anzurechnen, soweit der sozialrechtliche Regelsatz nebst anteiliger Mietkosten erreicht wird.
2. Kindergeld stellt kein anzurechnendes Einkommen dar.
LG Berlin, Beschl. v. 21.6.2020 – 84 T 104/19
1 I. Die Entscheidung
Unterhalt ist Einkommen des Kindes
Gemäß § 36 Abs. 1 InsO i.V.m. § 850c Abs. 4 ZPO kann das Vollstreckungsgericht auf Antrag nach billigem Ermessen bestimmen, dass der Unterhaltsberechtigte bei der Berechnung des unpfändbaren Teils des Arbeitseinkommens des Schuldners ganz oder teilweise unberücksichtigt bleibt. Nach der Rechtsprechung des BGH verbieten sich im Hinblick auf den Zweck der Regelung schematische Lösungen. Das Gericht hat vielmehr seine Entscheidung unter Abwägung der wirtschaftlichen Lage des Gläubigers und des Schuldners sowie der von ihm unterhaltenen Angehörigen zu treffen, wobei Pfändungsfreibeträge und Unterhaltstabellen Anhaltspunkte für die Ausübung des Ermessens geben können. Demnach ist hier von einem eigenen Einkommen der unterhaltsberechtigten Tochter in Höhe von monatlich 268,94 EUR netto auszugehen. Der durchschnittlich geleistete Unterhalt des Kindesvaters betrug für beide Kinder betreffend die Monate Januar bis einschließlich April 2019 ausweislich der Glaubhaftmachung der Schuldnerin 537,87 EUR, mithin 268,94 EUR je Kind.
Kindergeld bleibt unberücksichtigt
Hingegen war das Kindergeld insoweit – entgegen der Rechtsansicht des Insolvenzgerichts – nicht zu berücksichtigen (vgl. LG Berlin, 5.6.2018 – 84 T 106/18). Das Kindergeld stellt kein Einkommen i.S.d. § 850c Abs. 4 ZPO dar (vgl. BGH ZVI 2006, 19; BGH, 18.4.1984 – IVb ZR 80/82, NJW 1984, 2355). Es dient vielmehr dem Ausgleich der aus dem Familienunterhalt folgenden Belastungen (BGH ZVI 2006, 19). Der Gesetzgeber hat dem Umstand, dass für Kinder des Schuldners als Unterhaltsberechtigte regelmäßig Kindergeld gezahlt wird, bereits bei der Bemessung des pauschalierten pfändungsfreien Betrages in der Tabelle zu § 850c Abs. 1 ZPO Rechnung getragen (BGH, 5.4.2005 – VII ZB 20/05, ZVI 2006, 20 = NJW-RR 2005, 1010). Das Kindergeld ist im Übrigen auch nur unter den engen, hier nicht vorliegenden Voraussetzungen des § 76 EStG pfändbar. Die grundsätzliche Unpfändbarkeit des Anspruchs auf Kindergeld dient dazu sicherzustellen, dass dem Kindergeldberechtigten das Geld auch tatsächlich zufließt, damit er ungehindert hierüber zugunsten des Kindes verfügen kann; mittelbar wird damit auch das Kind geschützt, dem das Kindergeld zugutekommen soll (vgl. BGH, 9.3.2016 – VII ZB 68/13). Gleiches muss vorliegend gelten.
Vergleich mit Regelsatz zur Berechnung der Nichtberücksichtigungsquote
Dem stehen für das Jahr 2019 ein sozialrechtlicher Regelsatz nach der einschlägigen Regelbedarfsstufe 4 in Höhe von 322 EUR sowie anteilige Mietkosten in Höhe von 333,33 EUR gegenüber (Bedarf insgesamt: 655,33 EUR). Die von der Schuldnerin weiterhin geltend gemachten Ausgaben für Strom, Telefon, Internet und BVG sind nicht gesondert zu berücksichtigen, vielmehr werden sie vom sozialrechtlichen Regelbedarfssatz mitumfasst. Ein etwaiger ausbildungsbedingter Mehraufwand ist nicht abzuziehen, da sich die Tochter nicht in einem Ausbildungsverhältnis, sondern auf der Schule befindet.
Da die Tochter der Beschwerdeführerin somit ihren Lebensbedarf zu etwa 41 Prozent selbst decken kann, entspricht es billigem Ermessen, sie insoweit bei der Berechnung des pfändungsfreien Einkommens der Beschwerdeführerin nicht zu berücksichtigen. Entsprechend ist eine Quote für ihre Berücksichtigung bei der Berechnung des pfändungsfreien Einkommens der Beschwerdeführerin zu bilden (vgl. LG Berlin, 5.6.2018 – 84 T 106/18; LG Verden, 31.5.2013 – 6 T 65/13).
2 Der Praxistipp
Lohnsteuerklasse 2 kann den entscheidenden Hinweis geben
Wird das Arbeitseinkommen der Schuldnerin gepfändet, sollte der Gläubiger im Nachgang die Lohnabrechnungen herausverlangen. Zu deren Herausgabe ist der Drittschuldner verpflichtet (BGH FoVo 2013,56). Aus der Lohnabrechnung ergibt sich die Lohnsteuerklasse der Schuldnerin.
Handelt es sich um die Lohnsteuerklasse zwei, so ergibt sich aus dem Lohnsteuermerkmal, dass die Schuldnerin getrennt lebt und zumindest ein gesetzlich unterhaltsberechtigtes Kind in ihrem Haushalt aufgenommen hat. Das Kind wird dann stets einen Unterhaltsanspruch gegen den Vater haben. Damit liegen die notwendigen Informationen vor, um das Kind zumindest teilweise bei der Berechnung des pfändbaren Arbeitseinkommens unberücksichtigt zu lassen. Es ist ein Antrag nach § 850c Abs. 6 ZPO (hierzu Muster in FoVo 2021, 110) zu stellen.
FoVo 9/2021, S. 170 - 171