Ist die Leistung von einer Gegenleistung abhängig?

Das Problem liegt also in § 690 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Danach findet das Mahnverfahren nicht statt, wenn die Geltendmachung des Anspruchs von einer noch nicht erbrachten Gegenleistung abhängig ist. Das ist im Mahnantrag nach § 690 Abs. 1 Nr. 4 ZPO zu versichern.

Die Abgrenzung zwischen Vorleistung und Zug-um-Zug-Leistung

Die zu titulierende Zahlungsverpflichtung ist aber nur dann von einer Gegenleistung abhängig, wenn es sich um eine nach §§ 273, 320, 348 BGB Zug um Zug zu erbringende Leistung handelt. Das ist in dem dargestellten Fall aber durchaus fraglich.

Anders verhält es sich aber, wenn der Gläubiger einen Anspruch auf eine Vorleistung oder einen Vorschuss hat (Dörndorfer, in BeckOK-ZPO, 41. Ed. v. 1.7.2021, § 688 Rn 22; Zöller/Vollkommer, ZPO, 33. Aufl. 2020, § 688 Rn 3 unter Bezugnahme auf BGH NJW 2007, 1006 Rn 40, wo der BGH diese Frage bei einem Vorschussanspruch nicht problematisiert hat; Voit, in: Musielak/Voit, 18. Aufl. 2021, Rn 7a; Gierl, in: Saenger, ZPO, 9. Aufl. 2021, § 688 Rn 12; Schüler, in: MüKo-ZPO, 6. Aufl. 2020, Rn 11; Herbst, Rpfleger 78, 200).

Hier wohl eher eine Vorleistungspflicht?

Hat der Schuldner aus demselben rechtlichen Verhältnis, auf dem seine Verpflichtung beruht, einen fälligen Anspruch gegen den Gläubiger, so kann er, sofern sich aus dem Schuldverhältnis nicht ein anderes ergibt, die geschuldete Leistung verweigern, bis die ihm gebührende Leistung bewirkt wird (Zurückbehaltungsrecht). Nach § 273 Abs. 1 BGB kann das Zurückbehaltungsrecht und damit die Abhängigkeit von einer Gegenleistung aber eben vertraglich ausgeschlossen werden, weil sich ja aus dem Schuldverhältnis etwas anderes ergeben kann (hierzu Schulze, BGB, 10. Aufl. 2019, § 273 Rn 9, 11; Krüger, in: MüKo-BGB, 8. Aufl. 2019, § 273 Rn 44; Lorenz, in: BeckOK-BGB, 58. Ed. 1.5.2021, § 273 Rn 26).

Ein vertraglicher Ausschluss kann ausdrücklich oder konkludent, z.B. durch die Vereinbarung einer Vorleistungspflicht, erfolgen. Eine Vorleistungspflicht liegt vor, wenn die Vorleistung, also der Vorschuss oder die Anzahlung ohne eine Gegenleistung, verlangt werden kann. Dies wird regelmäßig anzunehmen sein, wenn vereinbart wird, dass eine Anzahlung geleistet wird und die Restzahlung bei oder nach der Erbringung der Gegenleistung erfolgt. Die erste Zahlung wird dann bewusst von der Gegenleistungspflicht entkoppelt.

Eine solche Vereinbarung wird nach der hier vertretenen Auffassung darin gesehen werden können, dass bei dem Abschluss des Grundgeschäftes eine Anzahlung – per Lastschrift – geleistet wird, ohne dass die Gegenleistung in Empfang genommen wird. Wird die Vorleistungspflicht nicht ausdrücklich vereinbart, geschieht dies durch diese Verfahrensweise jedenfalls konkludent im beiderseitigen Einverständnis. Das ist auch sachgerecht, weil der Verkäufer die Anzahlung regelmäßig als Sicherheit benötigt, um seinerseits eine Verpflichtung gegenüber dem Endlieferanten einzugehen. Wollte der Schuldner auf dem Gegenseitigkeitsverhältnis bestehen, würde er die Anzahlung nicht aktiv leisten.

 

Hinweis

Erst recht muss dies natürlich gelten, wenn der Vertrag aus welchem Rechtsgrunde auch immer – etwa Kündigung oder Rücktritt – beendet wurde und die Zahlung nun als vertraglicher Schadensersatz verlangt wird, ohne dass diese noch von einer Gegenleistung abhängig ist.

Die Folgen, wenn in Zukunft der BGH anders entscheiden sollte

Wird eine Forderung unter Verstoß gegen § 688 Abs. 2 Nr. 2 ZPO geltend gemacht, darf ein Vollstreckungsbescheid nicht ergehen. Ergeht er dennoch, kann der Schuldner gegen den rechtskräftigen Vollstreckungstitel Ansprüche aus § 826 BGB erheben, sofern sich die Durchführung des Mahnverfahrens als sittenwidrig darstellt (BGH NJW 2015, 3162; BGH NJW 2012, 995).

Das setzt aber weiter voraus, dass der Gläubiger in dem Bewusstsein, dass eine Gegenleistungspflicht besteht, die Erklärung nach § 690 Abs. 1 Nr. 4 ZPO abgibt. Wird nachvollziehbar und sachgerecht aufgrund der erteilten Lastschrift davon ausgegangen, dass eine Vorleistungspflicht besteht, sollte es – solange keine anderen Anhaltspunkte für ein subjektives Unrechtsbewusstsein bestehen – am erforderlichen Vorsatz fehlen, d.h. die Rechtsfolge nicht eintreten. Es muss sich also um eine bewusste Falschangabe nach § 690 Abs. 1 Nr. 4 ZPO handeln. Bei fahrlässiger Falschabgabe der Erklärung scheidet eine Rechtsmissbräuchlichkeit aus (vgl. BGH NJW 2014, 343, Rn 11; Zöller/Seibel, ZPO, 33. Aufl. 2020, § 690 ZPO Rn 17).

Fazit

Vor dem Hintergrund der aufgezeigten Kommentarliteratur kann deshalb der gerichtliche Mahnbescheid beantragt werden.

Autor: VRiOLG Frank-Michael Goebel

FoVo 9/2021, S. 166 - 168

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