Leitsatz
1. Lässt ein Schuldner sein Arbeitseinkommen auf das Konto eines Dritten überweisen und unterlässt er es, ein (eigenes) Pfändungsschutzkonto (§ 850k Abs. 1 ZPO) zu unterhalten, so greifen die Schuldnerschutzvorschriften der §§ 850 ff. ZPO nicht ein, wenn ein Gläubiger Zwangsvollstreckungsmaßnahmen gegen den Dritten ergreift. Insbesondere ist § 850k ZPO weder direkt noch entsprechend anwendbar.
2. § 765a ZPO ist im Erkenntnisverfahren im Verhältnis zwischen Gläubiger und Drittschuldner nicht anwendbar; Dritte können sich nicht auf § 765a ZPO berufen. Über einen Antrag nach § 765a ZPO hat allein das Vollstreckungsgericht zu befinden.
3. Eine Zwangsvollstreckungsmaßnahme gegen einen Drittschuldner kann jedenfalls dann nicht unter Rückgriff auf die Wertung des § 765a ZPO als vorsätzliche sittenwidrige Schädigung i.S.d. § 826 BGB angesehen werden, wenn die Voraussetzungen des § 765a ZPO tatsächlich nicht vorliegen. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass § 765a ZPO eine eng auszulegende Ausnahmevorschrift darstellt.
BVerfG, Kammerbeschl. v. 29.5.2015 – 1 BvR 163/15
1 I. Der Fall
Pfändung des Anspruchs aus § 667 BGB
Die Gläubigerin vollstreckt gegen den Schuldner wegen einer titulierten Forderung von aktuell rd. 17.500 EUR. Der Schuldner wickelt seinen gesamten Zahlungsverkehr über das Girokonto seiner Ehefrau ab und unterhält kein eigenes Konto. Die Gläubigerin pfändete darauf neben dem Arbeitseinkommen des Schuldners den Auszahlungsanspruch des Schuldners gegen seine Ehefrau nach § 667 BGB und ließ ihn sich zur Einziehung überweisen.
Drittschuldnerklage
Nachdem die Ehefrau keine Zahlungen leistet, nimmt die Gläubigerin sie im Wege der Drittschuldnerklage auf Zahlung eines Teilbetrages von 2.000 EUR in Anspruch, d.h. in Höhe von etwa zwei pfändungsfreien Monatsgehältern des Schuldners (1.029,99 EUR). Das AG wies die Klage ab, weil der Zugriff sittenwidrig im Sinne des § 826 BGB sei, weil die Beträge beim Schuldner unpfändbar seien.
Das LG wies die Berufung nach § 522 Abs. 2 ZPO zurück. Dem Schuldner stünde nämlich der Schutz nach § 765a ZPO zu – auch wenn ein solcher Antrag im Beschwerdeverfahren zurückgewiesen worden sei –, der so unterlaufen werde. Der Umstand, dass der Schuldner über kein eigenes Konto verfüge, dürfe nicht zu einer Erweiterung der Vollstreckungsmöglichkeiten der Beschwerdeführerin führen. Die dagegen gerichtete Anhörungsrüge blieb erfolglos.
Die Gläubigerin wendet sich nun mit der Verfassungsbeschwerde gegen die rechtskräftigen Ausgangsentscheidungen und sieht sich in ihren Verfassungsrechten verletzt.
2 II. Die Entscheidung
Verfassungsbeschwerde ist offensichtlich begründet
Das BVerfG hat die Verfassungsbeschwerde angenommen und für offensichtlich begründet erachtet. Die Ausgangsentscheidungen verstießen gegen den allgemeinen Gleichheitssatz in seiner Ausprägung als Verbot objektiver Willkür (Art. 3 Abs. 1 GG). Die Ausgangsentscheidungen seien unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar, und es dränge sich daher der Schluss auf, dass sie auf sachfremden Erwägungen beruhen.
Keine sittenwidrige Schädigung nach § 826 BGB
§ 826 BGB gewährt Schutz bei vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung. Die Weite der haftungsbegründenden Verhaltensweisen wird durch das Vorsatzerfordernis und die Notwendigkeit eines Sittenverstoßes begrenzt. Allerdings ermöglicht gerade das Merkmal der Sittenwidrigkeit eine flexible Anpassung des Haftungsrechts an veränderte faktische Situationen oder soziale Umstände. § 826 BGB ist durch Richterrecht konkretisiert worden, das sich in Fallgruppen zusammenfassen lässt. Diese Fallgruppen ermöglichen eine Orientierung bei der Anwendung des § 826 BGB, entbinden jedoch weder von der Prüfung der Umstände jedes Einzelfalls, noch sind sie abschließend, insbesondere sind die subjektiven Tatbestandsmerkmale jeweils konkret festzustellen. Im Rahmen eines Prozesses kann eine Prozesspartei sich nicht nur durch Erschleichung oder Ausnutzung materiell-rechtlich unrichtiger Titel sittenwidrig verhalten und dem Gegner nach § 826 BGB haftbar werden, sondern unter Umständen auch in anderer Weise.
Checkliste: Fallgruppen des § 826 BGB nach dem BVerfG
Eine sittenwidrige Schädigung kann stattfinden durch
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die Anbringung unberechtigter Insolvenzanträge, |
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die Erstattung von Strafanzeigen wegen fiktiver Delikte, |
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die Erhebung unbegründeter Zivilklagen, |
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den Einsatz unlauterer Mittel. |
Was soll eigentlich sittenwidrig sein?
Der die Berufung zurückweisende Beschluss des LG verhält sich nicht zu einer konkreten, vorsätzlich sittenwidrigen Schädigung der Beklagten als Drittschuldnerin durch die Gläubigerin. Die Gläubigerin bedient sich zur Durchsetzung ihres titulierten Anspruchs im Rahmen der Zwangsvollstreckung eines gesetzlich geregelten Verfahrens und macht lediglich die ihr zustehenden Rechte aus einem wirksamen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss (PfÜB) gegen die Beklagte als Drittschuldnerin geltend. Ab der Zustellung des PfÜB durfte die Beklagte gemäß § 829 Abs. 1 ZPO nicht über die für den Schuldner auf ihrem Konto eingehenden Beträge verfü...