Eine Entscheidung weit weg von der Praxis …
Offene und notleidende Forderungen beeinträchtigen die Liquidität von Unternehmen, gefährden Innovationen, Investitionen und auch Arbeitsplätze. Auch können sie sich – wo möglich – auf die Verbraucherpreise auswirken, weil Forderungsausfälle in der Preiskalkulation Berücksichtigung finden können. Vor diesem Hintergrund und einer sich verschlechternden Zahlungsmoral gehen Unternehmen immer wieder dazu über, ihre Forderungen auch zu verkaufen. Sie wollen so die aufgezeigten Nachteile vermeiden und insbesondere ihre Liquidität steigern. Die Entscheidung des BGH ist geeignet, die so begründete "Verkehrsfähigkeit" von titulierten Forderungen zu beeinträchtigen. Er argumentiert formal, ohne den Fragen nach Sinnhaftigkeit und Zweckmäßigkeit wirklich nachzugehen. Er stellt dabei die ursprünglichen Erwägungen des Gesetzgebers vor dem Hintergrund sich wandelnder Verhältnisse nicht auf die Probe. Eine dogmatisch sicher gut begründbare Entscheidung, die am Ende aber den Blick für die Praxis und deren Anforderungen verliert.
Kein Interesse des Schuldners
Der BGH sieht das Interesse des Schuldners an der Sicherung seines Anspruches auf rechtliches Gehör. Er geht der Frage, ob ein solches Interesse tatsächlich besteht, aber nicht nach. Jeder Praktiker weiß, dass sich kein Schuldner für die Entscheidungen nach § 727 ZPO interessiert. Die dazu veröffentlichten Entscheidungen betreffen Nischenfragen. Insoweit bekommt der Schuldner über § 750 Abs. 2 ZPO Unterlagen zugestellt, für die er sich nicht interessiert und die er in der Regel auch nicht ernsthaft wird in Zweifel ziehen können. Diese wurden immerhin durch ein Gericht geprüft.
Verbraucherfeindlich: Verschuldung wird erhöht
Am Ende mutet es doch widersprüchlich an, wenn der BGH einerseits die – abstrakten – Rechte des Schuldners wahren will, andererseits aber dem Schuldner die ganz erheblichen Kosten der Zustellung bei Massenabtretungen, die schnell dreistellig werden können, zumutet. Er verschärft so ohne wirklichen praktischen Nutzen die Verschuldung des Schuldners.
Der Gesetzgeber sollte reagieren
Die Entscheidung rückt die Problematik in den Blickpunkt. Man kann nur hoffen, dass der Gesetzgeber hinsieht und reagiert. So wäre es einerseits möglich, die Offenkundigkeit der zur Generalakte gereichten Urkunden gesetzlich anzuordnen und dies damit zu verbinden, die Offenkundigkeit ebenso zu begründen wie über die Möglichkeiten des Schuldners zur Akteneinsicht und den Rechtsmitteln zu belehren. Klug könnte es auch sein, § 750 Abs. 2 und 3 ZPO umzugestalten. Dort könnte geregelt werden, dass die Urkunden nur auf Verlangen des Schuldners zuzustellen sind und dieses Verlangen innerhalb bestimmter Frist geäußert sein muss, über die der Schuldner belehrt wird. In § 775 ZPO könnte ergänzend geregelt werden, dass die Zwangsvollstreckung einstweilen einzustellen ist, wenn der Gläubiger auf das Verlangen nicht in zu bestimmender Frist die Urkunden dem Schuldner überlässt.
Gläubiger hat wenige Möglichkeiten
Die Gläubiger und ihre Rechtsdienstleister haben wenige Möglichkeiten. Sie müssen ihre Verträge so gestalten, dass möglichst beglaubigte Einzelabtretungsurkunden erstellt werden können. Aufwand und Kosten werden immens sein. Viele Altgläubiger kommen so ihrem Ziel, genau das zu vermeiden, nicht näher.
FoVo 10/2020, S. 190 - 198