Leitsatz
Vereinbaren zwei Parteien in Bezug auf ein Grundstück im Rahmen eines gerichtlichen Vergleichs, dass bestimmte Räumlichkeiten zur alleinigen Nutzung der einen Partei und andere Räumlichkeiten der anderen Partei überlassen werden, so kann hieraus die Räumungsvollstreckung nicht betrieben werden, solange der Vergleich nicht auch die Verpflichtung zur Räumung und Herausgabe der Räumlichkeiten enthält, die nach dem Vergleich der anderen Partei zugewiesen sind.
OLG Frankfurt, Beschl. v. 12.6.2023 – 26 W 5/23
1 Der Fall
Vergleich über die Aufteilung der Wohnung
Die Parteien streiten um die gemeinsame Nutzung des Bades im Erdgeschoss des Hauses … in … In der mündlichen Verhandlung schlossen die Parteien in Anwesenheit des Schuldners – des damaligen Beklagten – einen Vergleich, dessen Ziffer 1 wie folgt lautet:
Zitat
1. Das gemeinsame Wohnrecht der Parteien hinsichtlich des Anwesens … in … wird wie folgt abgeändert:
Die Klägerin nutzt die Räumlichkeiten des Erdgeschosses einschließlich der Terrasse alleine. Der Beklagte nutzt von den Räumlichkeiten des Kellergeschosses die in dem beigefügten Plan mit den Ziffern 1, 2 und 4 bezeichneten Räume alleine. Der mit Ziffer 6 bezeichnete Raum steht ihm zur Mitbenutzung zur Verfügung. Die Garage ist dem Beklagten zur alleinigen privaten Nutzung gestattet.
Frau … und Herr … werden die Kellerräume ausschließlich über den gesonderten Zugang, der sich neben dem mit Ziffer 10 bezeichneten Raum des beigefügten Planes befindet, betreten.
Zwangsgeldantrag wegen Nichterfüllung
Der über 80-jährige Schuldner zog in der Folgezeit nicht vom Erdgeschoss in die Räumlichkeiten des Kellergeschosses des Anwesens um. Ihm sei es aus persönlichen, gesundheitlichen und finanziellen Gründen nicht möglich, die Räumung zu bewerkstelligen. Es sei ihm auch nicht zumutbar, die Räumung durch andere Familienmitglieder vornehmen zu lassen. Die Räumungsabsichten der Gläubigerin stellten eine "seelische Grausamkeit" und eine unzumutbare Härte für ihn dar. Die Gläubigerin beantragte deshalb die Festsetzung eines Zwangsgeldes gegen den Schuldner.
Rechtsmittel gegen Zwangsmittelbeschluss
Mit dem angegriffenen Beschluss setzte das LG ein Zwangsgeld in Höhe von 2.000 EUR und ersatzweise für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, für je EUR 100,00 einen Tag Zwangshaft fest. Der hiergegen gerichteten sofortigen Beschwerde hat das LG nicht abgeholfen und sie dem OLG vorgelegt.
2 II. Die Entscheidung
Dem OLG fehlt die explizite Räumungsverpflichtung
Die sofortige Beschwerde des Schuldners ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg. Zwar liegt ein wirksamer Antrag der Gläubigerin i.S.d. § 888 Abs. 1 ZPO vor. Jedoch fehlt es an einer titulierten Räumungsverpflichtung des Schuldners.
Der zwischen den Parteien abgeschlossene gerichtliche Vergleich enthält keine explizite Regelung, nach der der Schuldner bestimmte von ihm zuvor bewohnte Räumlichkeiten zu räumen und an die Gläubigerin herauszugeben hat. Eine derartige Räumungsverpflichtung lässt sich dem Vergleich auch nicht im Wege der Auslegung entnehmen. Vereinbaren zwei Parteien in Bezug auf ein Grundstück im Rahmen eines gerichtlichen Vergleichs, dass bestimmte Räumlichkeiten zur alleinigen Nutzung der einen Partei und andere Räumlichkeiten der anderen Partei überlassen werden, so kann hieraus die Räumungsvollstreckung nicht betrieben werden, solange der Vergleich nicht auch die Verpflichtung zur Räumung und Herausgabe der Räumlichkeiten enthält, die nach dem Vergleich der anderen Partei zugewiesen sind (in diesem Sinne für die parallele Problematik im Falle einer Einigung oder gerichtlichen Entscheidung über die Überlassung einer Ehewohnung etwa OLG Zweibrücken NJW-RR 2020, 581; Dürbeck, in: Johannsen/Henrich/Althammer, Familienrecht, 7. Aufl. 2020, § 1568a BGB Rn 23; Fuchs, in: Kroiß/Siede (Hrsg.), FamFG, 3. Aufl. 2023, § 203 FamFG Rn 9 und 18; Lackmann, in: Musielak/Voit (Hrsg.), ZPO, 20. Aufl. 2023, § 885 Rn 3; Lorenz, in: Zöller, ZPO, 34. Aufl. 2022, § 209 FamFG Rn 3; Neumann, in: Hau/Poseck (Hrsg.), BeckOK-BGB, 66. Edition, Stand: 1.5.2023, § 1361b BGB Rn 17; Seiler, in: Thomas/Putzo, ZPO, 44. Aufl. 2023, § 885 Rn 3; Sieghörtner, in: Hahne/Schlögel/Schlünder (Hrsg.), BeckOK-FamFG, 46. Edition, Stand: 2.4.2023, § 86 FamFG Rn 6).
Mit anderen Worten: Die Verpflichtung des Schuldners zur Besitzaufgabe muss eindeutig zum Ausdruck kommen, das heißt, der Titel muss auf Herausgabe, Überlassung oder Räumung bestimmter Räumlichkeiten oder Grundstücke lauten (vgl. etwa LG Berlin DGVZ 1991, 92, 92 f.; Müller, in: Keller (Hrsg.), Handbuch Zwangsvollstreckungsrecht, 2013, Kap. 5 Rn 47; Seibel, in: Zöller, ZPO, 34. Aufl. 2022, § 885 Rn 2).
Dazu: falscher Vollstreckungsantrag
Der Vollständigkeit halber sei noch darauf hingewiesen, dass im Streitfall eine Zwangsvollstreckung nach § 888 ZPO selbst dann nicht in Betracht käme, wenn man den zwischen den Parteien abgeschlossenen Vergleich – zu Unrecht – dahingehend auslegen wollte, dass bereits der bloßen Benennung der von den beiden Seiten jeweils zu bewohnenden R...