Entscheidungsstichwort (Thema)
Zwangsvollstreckung aus einem Vergleich ohne Räumungsverpflichtung
Leitsatz (amtlich)
Vereinbaren zwei Parteien in Bezug auf ein Grundstück im Rahmen eines gerichtlichen Vergleiches, dass bestimmte Räumlichkeiten zur alleinigen Nutzung der einen Partei und andere Räumlichkeiten der anderen Partei überlassen werden, so kann hieraus die Räumungsvollstreckung nicht betrieben werden, solange der Vergleich nicht auch die Verpflichtung zur Räumung und Herausgabe der Räumlichkeiten enthält, die nach dem Vergleich der anderen Partei zugewiesen sind.
Verfahrensgang
LG Gießen (Beschluss vom 09.03.2023; Aktenzeichen 3 O 493/21) |
Tenor
Die Entscheidung ist nicht anfechtbar.
Auf die sofortige Beschwerde der Schuldnerin wird der Beschluss des Landgerichts Gießen vom 9. März 2023 - 3 O 493/21 - in der Form des Nichtabhilfebeschlusses vom 25. April 2023 aufgehoben und der Zwangsgeldantrag der Gläubigerin vom 2. Dezember 2022 zurückgewiesen.
Die Gläubigerin hat die Kosten des Zwangsgeldverfahrens in beiden Rechtszügen zu tragen.
Gründe
I. Die Parteien streiten nach einem vorausgegangenen einstweiligen Verfügungsverfahren um die gemeinsame Nutzung des Bades im Erdgeschoss in dem Haus Straße1 in Stadt1.
In der mündlichen Verhandlung vom 17. Dezember 2021 schlossen die Parteien in Anwesenheit des Schuldners - des damaligen Beklagten - einen Vergleich, dessen Ziffer 1 wie folgt lautet:
"1. Das gemeinsame Wohnrecht der Parteien hinsichtlich des Anwesens Straße1 in Stadt1 wird wie folgt abgeändert - Die Klägerin nutzt die Räumlichkeiten des Erdgeschosses einschließlich der Terrasse alleine.
- Der Beklagte nutzt von den Räumlichkeiten des Kellergeschosses die in dem beigefügten Plan (BI. 20 d. A.) mit den Ziffern 1, 2 und 4 bezeichneten Räume alleine. Der mit Ziffer 6 bezeichnete Raum steht ihm zur Mitbenutzung zur Verfügung. Die Garage ist dem Beklagten zur alleinigen privaten Nutzung gestattet.
Frau Vorname1 Nachname1 und Herr Vorname Nachname1 werden die Kellerräume ausschließlich über den gesonderten Zugang, der sich neben dem mit Ziffer 10 bezeichneten Raum des beigefügten Planes befindet, betreten."
Der Schuldner wechselte im Nachgang zu dem Vergleichsabschluss seinen Prozessbevollmächtigten und begehrte mit Schriftsatz vom 25. Februar 2022, den abgeschlossenen Vergleich wegen Irrtums für unwirksam erklären zu lassen. In der mündlichen Verhandlung vom 30. September 2022 nahm der Prozessbevollmächtigte des Schuldners diesen Antrag wieder zurück.
Der Schuldner zog in der Folgezeit nicht vom Erdgeschoss in die Räumlichkeiten des Kellergeschosses des Anwesens um.
Mit Anwaltsschriftsatz vom 2. Dezember 2022 beantragte die Gläubigerin deshalb die Festsetzung eines Zwangsgeldes gegen den Schuldner.
Der 8X-jährige Schuldner hat vortragen lassen, ihm sei es aus persönlichen, gesundheitlichen und finanziellen Gründen nicht möglich, die Räumung zu bewerkstelligen. Es sei ihm auch nicht zumutbar, die Räumung durch andere Familienmitglieder vornehmen zu lassen. Die Räumungsabsichten der Gläubigerin stellten eine "seelische Grausamkeit" und eine unzumutbare Härte für ihn dar.
Mit dem angegriffenen Beschluss vom 9. März 2023 (Bl. 453 ff. d. A.) setzte das Landgericht "gegen die Antragsgegnerin [sic!] wegen Nichterfüllung der Ziffer 1 des Vergleichs vom 17. Dezember 2021 ein Zwangsgeld in Höhe von EUR 2.000,00" und ersatzweise für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, für je EUR 100,00 einen Tag Zwangshaft fest. Zugleich entschied das Landgericht, dass die "Vollstreckung der Zwangshaft und des Zwangsgeldes entfällt, sobald der Antragsgegner der Verpflichtung nachkommt."
Zur Begründung hat das Landgericht u. a. ausgeführt, dass gegen den Schuldner gemäß § 888 ZPO ein Zwangsgeld zu verhängen gewesen sei, da dieser die ihm durch Ziffer 1 des am 17. Dezember 2021 vor dem Landgericht Gießen geschlossenen Prozessvergleichs obliegende Verpflichtung, in dem Anwesen Straße1 in Stadt1 von dem Erdgeschoss in das Kellergeschoss zu ziehen, bislang nicht erfüllt habe und diese Verpflichtung - obgleich sich der Schuldner in der konkreten Umsetzung der Hilfe Dritter bedienen könne - nur von ihm selbst erfüllt werden könne.
Dass der Schuldner die vorgenannte Verpflichtung nicht erfüllt habe, sei zwischen den Parteien unstreitig. Entgegen der Auffassung des Schuldners sei es diesem weder aus persönlichen noch aus gesundheitlichen oder finanziellen Gründen unmöglich, die Räumung vorzunehmen, noch sei ihm der Umzug unzumutbar. Denn der Schuldner verliere mit dem bloßen Etagenwechsel in dem Anwesen nicht seinen Lebensmittelpunkt. Er müsse seine Möbel und Haushaltsgegenstände keinesfalls selbst transportieren und sich auch nicht durch seine Familienmitglieder helfen lassen. Vielmehr könne der Schuldner gegen Zahlung eines geringeren dreistelligen Betrages problemlos ein Umzugsunternehmen beauftragen, welches für ihn die Möbel und Haushaltsgegenstände transportiere und gemäß seinen Wünschen und Vorstellungen im Kellergeschoss aufstel...