Das AG hat den Antrag der Beklagten auf Verlängerung der Räumungsfrist richtigerweise zurückgewiesen.

Erfolglose Wohnungssuche unzureichend und reicht nicht zur Begründung

Die bislang erfolglose Suche der Beklagten nach Ersatzwohnraum vermag ihren Antrag vorliegend nicht zu begründen. Zwar kann für eine Verlängerung der Räumungsfrist nach § 721 Abs. 3 ZPO gerade auch die vergebliche Suche nach einer Ersatzwohnung sprechen. Im Falle fehlenden Ersatzwohnraums ist jedoch zu beachten, dass – strenggenommen – der Umstand "noch immer fehlenden" Ersatzwohnraums keine neue Tatsache darstellt. Die maßgebliche neue Tatsache kann vielmehr nur darin gesehen werden, dass sich der Schuldner im Verlauf der gewährten Räumungsfrist intensiv, aber vergeblich um Ersatzwohnraum gekümmert hat. Dies hat der Schuldner substantiiert darzulegen und im Bestreitensfall auch zu beweisen (BGH NJW 1990, 2823; LG Berlin ZMR 2019, 587).

Dieser Darlegungslast haben die Beklagten nicht genügt, zumal sie offenbar erst nach dem Berufungsurteil vom 3.8.2022 damit begonnen haben, sich um Ersatzwohnraum zu bemühen. So datieren die Schreiben an die Landeshauptstadt München auf den 9. und 17.8., 23.11., 6. und 19.12.2022. Die erste Besichtigung fand am 29.8.2022 statt.

Streit um den richtigen Zeitpunkt

Umstritten ist insoweit, auf welchen Zeitpunkt hinsichtlich der Obliegenheit zur Beschaffung von Ersatzwohnraum abzustellen ist:

Nach einer Ansicht sei insoweit auf den Eintritt der Rechtskraft des Räumungsurteils abzustellen (LG Wuppertal WuM 1996, 429; LG Essen WuM 1992, 202; LG Hamburg WuM 1988, 316; Kindl/Meller-Hannich/Wolf/Giers, Gesamtes Recht der Zwangsvollstreckung 3. Aufl. 2015, § 721 ZPO Rn 17). Denn ansonsten wäre der Kündigungsempfänger gehalten, sich um neuen Wohnraum zu bemühen, obwohl er sich – möglicherweise zu Recht – gegen die Kündigung zur Wehr setzt.
Dem kann schon deshalb nicht zugestimmt werden, weil die Obliegenheit, sich auf die Suche nach Ersatzwohnraum zu begeben, gerade leerlaufen würde, wenn man erst einen derart späten Zeitraum als maßgeblich erachtete. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass nicht wenige Räumungsverfahren in der 2. oder gar 3. Instanz fortgeführt werden.
Nach anderer Ansicht habe der Mieter regelmäßig bereits nach Erhalt der Kündigung Ersatzwohnraum zu suchen, der im Einzelfall auch teurer sein könne (OLG Köln ZMR 2004, 33).
Eine vermittelnde Ansicht nimmt eine Obliegenheit zur Ersatzwohnraumsuche jedenfalls dann an, wenn nach Maßgabe einer Einzelfallbetrachtung "die Wirksamkeit der Kündigung auf der Hand liegt" (MüKo-ZPO/Götz, § 721 ZPO Rn 12), "völlig klar" (Schmidt-Futterer/Lehmann-Richter, § 721 ZPO Rn 22) bzw. "evident" ist (Schmid/Harz/Eiden, § 721 ZPO Rn 33).

LG befürwortet eine weitere Differenzierung

Letztlich vorzugswürdig wird aber eine weitergehende Differenzierung sein, wobei die vorstehend bei MüKo-ZPO/Götz, Schmidt-Futterer/Lehmann-Richter bzw. Schmid/Harz/Eiden definierten Zeitpunkte richtigerweise kennzeichnen, ab wann spätestens eine Obliegenheit zur Suche nach neuem Wohnraum angenommen werden muss (vgl. Englmann/Wittschurky, in: Harz/Riecke/Schmid, Handbuch des Fachanwalts Miet- und Wohnungseigentumsrecht, 7. Aufl. 2020, Kap. 32 Rn 653).

Maßgeblich ist die Erkennbarkeit der erfolglosen Rechtsverteidigung

Richtig ist, dass eine Einzelfallbetrachtung aus objektiver Ex-ante-Sicht eines vernünftigen Mieters vorzunehmen ist. Dabei ist jedoch primär die Frage zu beantworten, ab wann ein Mieter ernstlich damit rechnen muss, zur Räumung und Herausgabe des verfahrensgegenständlichen Wohnraums verurteilt zu werden, also hinreichend sicher erkennen kann, dass er nicht mit Erfolg gegen die Kündigung vorgehen kann. Dies kann durchaus bereits ab Zugang der Kündigung der Fall sein, ggf. aber erst zu einem deutlich späteren Zeitpunkt. Bei der Einzelfallbetrachtung ist auch zu berücksichtigen, ob sich ein Mieter berechtigte Hoffnungen auf eine Fortsetzung des Mietverhältnisses nach §§ 574 ff. BGB machen darf oder ob der Widerspruch nach § 574 Abs. 1 S. 2 BGB unzulässig oder aus sonstigen Gründen nicht erfolgversprechend ist. Ist die Kündigung – wie häufig – aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen problematisch, ihre Wirksamkeit daher strittig, wird man die Obliegenheit zur Ersatzwohnraumsuche regelmäßig nicht bereits bei Zugang der Kündigung annehmen können. Allerdings kann sie auch in diesen Fällen i.d.R. nicht erst mit der Rechtskraft des Räumungsurteils beginnen.

Maßgeblich können sein: Kündigung, gerichtliche Hinweise und spätestens ein erstes Urteil

Im Einzelnen gilt also: Ist die Sach- und Rechtslage hinsichtlich der Wirksamkeit der Kündigung und in Bezug auf §§ 574 ff. BGB – zu Ungunsten des Mieters – weitgehend klar, greift die Obliegenheit zur Ersatzraumbeschaffung bereits ab dem Zugang der Kündigung; als Beispiele können hier eine fristlose Kündigung wegen Zahlungsverzugs ohne erkennbare Gegenrechte oder eine Kündigung bei unstreitigen schweren Vertragsverletzungen durch den Mieter genannt...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge