BGH: Vorzeitige Räumungsklage bei fehlender Ersatzwohnung

Die Besorgnis, ein Wohnungsmieter werde sich der Räumung entziehen, kann auch gerechtfertigt sein, wenn der Mieter der Kündigung nur widerspricht, weil er noch keine andere Wohnung gefunden hat. Dann kann der Vermieter schon vor Ende der Kündigungsfrist Räumungsklage erheben.

Hintergrund: Gekündigter Mieter befürchtet Obdachlosigkeit

Die ehemaligen Parteien eines Mietvertrages über eine Wohnung streiten über die Kosten einer Räumungsklage.

Im Juni 2020 hatten die Vermieter das Mietverhältnis wegen Eigenbedarfs zum 31.3.2021 gekündigt. Im Januar 2021 widersprach der Mieter der Kündigung. Er suche zwar seit der Kündigung eine andere Wohnung, sei aber noch nicht fündig geworden. Nach jetzigem Stand wäre er ab Ende März obdachlos, so dass eine nicht zu rechtfertigende Härte im Sinne von § 574 Abs. 2 BGB vorliege.

Im Februar 2021 erhoben die Vermieter Räumungsklage, gerichtet auf eine Räumung der Wohnung spätestens Ende März. Am 31.3.2021 gab der Mieter, der inzwischen doch noch eine andere Wohnung gefunden hatte, die Wohnung an die Vermieter zurück.

Nachdem beide Parteien den Rechtsstreit für erledigt erklärt haben, steht noch eine Entscheidung über die Kosten der Räumungsklage aus. Das Amtsgericht hat dem Mieter die Kosten auferlegt, während das Landgericht die Vermieter mit den Kosten belastet hat.

Das Landgericht meint, die vor Ende des Mietverhältnisses erhobene Räumungsklage sei unzulässig gewesen. Die Vermieter könnten sich nicht auf § 259 ZPO, der in bestimmten Fällen ausnahmsweise eine Klage auf künftige Leistung ermöglicht, berufen. Bei einer Räumungsklage sei eine Klage auf zukünftige Leistung nur möglich, wenn der Mieter seine Pflicht zur Räumung bestreite, nicht aber, wenn er sich grundsätzlich dazu bereit erkläre, zugleich aber darauf hinweise, dass ihm eine Räumung wegen fehlenden Ersatzwohnraums tatsächlich nicht möglich sein könnte.

Auch der Widerspruch gegen die Kündigung, der auf der zunächst erfolglosen Suche nach einer anderen Wohnung beruhte, rechtfertige nicht die Besorgnis, der Mieter werde sich einer rechtzeitigen Räumung entziehen.

Entscheidung: Klage auf künftige Räumung zulässig

Der BGH hebt die Entscheidung des Landgerichts auf und verweist die Sache dorthin zurück. Anders als das Landgericht meint, war die Räumungsklage zulässig.

Eine Klage auf zukünftige Leistung ist nach § 259 ZPO ausnahmsweise dann zulässig, wenn den Umständen nach die Besorgnis gerechtfertigt ist, der Schuldner werde sich der rechtzeitigen Leistung – bei einer Räumungsklage der Räumung – entziehen.

Dies war hier der Fall. Auch wenn der Mieter nicht die Wirksamkeit der Kündigung an sich und seine Räumungspflicht abgestritten hat, hat er eindeutig zu erkennen gegeben, dass er bei unverändert bleibender Situation, nämlich weiterhin erfolgloser Wohnungssuche, nicht zu einem Auszug bereit ist. Dies reicht aus, um die Besorgnis nicht rechtzeitiger Leistung zu rechtfertigen.

Kein besonderer Maßstab für Wohnungsmieter

Für die Besorgnis der nicht rechtzeitigen Leistung gilt kein besonderer, von anderen Fallgestaltungen abweichender Maßstab, wenn Schuldner ein Wohnraummieter ist, der unter Verweis auf die bislang erfolglose Suche nach Ersatzwohnraum ankündigt, auch nach Ende des Mietverhältnisses in der Wohnung zu bleiben.

Das nach § 259 ZPO erforderliche "Sich-Entziehen" des Schuldners hinsichtlich seiner Leistungspflicht ist auch dann zu besorgen, wenn der Mieter deutlich gemacht hat, er werde mangels Ersatzwohnraum auch nach dem Ende des Mietverhältnisses hinaus in der Wohnung verbleiben. Auch in diesem Fall hat er die Nichterfüllung der Leistungspflicht in seinen Willen aufgenommen.

Ein "Sich-Entziehen" verlangt keine Böswilligkeit des Schuldners im Sinne des Erschwerens oder Hintertreibens der Befriedigung des Gläubigers. Maßgeblich ist allein die Besorgnis, der Schuldner werde die erklärte Absicht, nämlich die fehlende Bereitschaft zur Erfüllung, bei Fälligwerden der Leistung auch in die Tat umsetzen.

Rechte des Mieters bleiben anderweitig gewahrt

Hat ein Mieter einer Kündigung widersprochen und der Vermieter daraufhin frühzeitig Räumungsklage erhoben, sind die Interessen des Mieters dadurch ausreichend gewahrt, dass das Gericht neben der Wirksamkeit der Kündigung auch die vom Mieter angeführten Härtegründe prüfen muss. So ist etwa gemäß § 574 Abs. 2 BGB der hier vom Mieter vorgebrachte Umstand, möglicherweise nicht rechtzeitig eine andere Wohnung zu finden, als Gesichtspunkt bei der Abwägung zu den Folgen der Kündigung von Bedeutung.

Zudem kann Verzögerungen bei der Wohnungssuche durch Gewährung einer Räumungsfrist Rechnung getragen werden.

(BGH, Beschluss v. 25.10.2022, VIII ZB 58/21)


§ 259 ZPO Klage wegen Besorgnis nicht rechtzeitiger Leistung

Klage auf künftige Leistung kann außer den Fällen der §§ 257, 258 erhoben werden, wenn den Umständen nach die Besorgnis gerechtfertigt ist, dass der Schuldner sich der rechtzeitigen Leistung entziehen werde.

§ 574 BGB Widerspruch des Mieters gegen die Kündigung

(1) Der Mieter kann der Kündigung des Vermieters widersprechen und von ihm die Fortsetzung des Mietverhältnisses verlangen, wenn die Beendigung des Mietverhältnisses für den Mieter, seine Familie oder einen anderen Angehörigen seines Haushalts eine Härte bedeuten würde, die auch unter Würdigung der berechtigten Interessen des Vermieters nicht zu rechtfertigen ist. (...)

(2) Eine Härte liegt auch vor, wenn angemessener Ersatzwohnraum zu zumutbaren Bedingungen nicht beschafft werden kann.


Das könnte Sie auch interessieren:

BGH mahnt zu mehr Sorgfalt bei Härtefallprüfung nach Kündigung

BGH-Rechtsprechungsübersicht zu Kündigung


Schlagworte zum Thema:  Mietrecht