Einführung
Verschuldung hat Ursachen. Nicht selten teilt der Schuldner diese Ursachen im Rahmen der schriftlichen, fernmündlichen oder persönlichen Kontaktaufnahme mit. Der nachfolgende Beitrag soll an drei Beispielen zeigen, wie solche Mitteilungen Anhaltspunkte für weitere Forderungseinziehungs- oder Zwangsvollstreckungsmaßnahmen geben können, obwohl sie auf den ersten Blick die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners zu belegen scheinen. Dies zeigt gleichzeitig, dass man sich im Forderungsmanagement auf den Schuldner und seine Lebenssituation einlassen muss, um Informationen zu erlangen, die einen Zugriff auf sein Vermögen oder Einkommen möglich machen.
1. Der erste Fall: der arbeitslose Schuldner
Beispiel
Sie telefonieren Anfang Oktober 2024 mit dem Schuldner, der Ihnen mitteilt, dass er mit Ablauf des 30.6.2024 arbeitslos geworden sei. Zuvor habe er monatlich 1.900 EUR brutto verdient. Er möchte damit begründen, dass er nicht in der Lage ist, die Forderung ganz oder auch nur in Raten auszugleichen. Derzeit beziehe er nur Bürgergeld. Ein aussichtsloser Fall?
Zugriff auf Steuererstattungsansprüche
Mitnichten ein aussichtsloser Fall. War der Schuldner bis Juli 2024 erwerbstätig und hat auch entsprechende Steuern bezahlt, so kommt nun ein Steuererstattungsanspruch in Betracht. Nach § 32a EStG bleibt nämlich schon das zu versteuernde Einkommen von 1.900 EUR abzüglich der Sozialversicherungsbeiträge von 399,95 EUR, d.h. von 6 × 1.500,05 EUR = 9.000,30 EUR unterhalb des steuerfreien wirtschaftlichen Existenzminimums von 11.604 EUR.
Hat der Schuldner einen Bruttolohn von 1.900 EUR monatlich, hätte er im Jahr 2024 potenziell 22.800 EUR nach Abzug seiner Sozialausgaben mit 1.047,00 EUR versteuern müssen (Lohnsteuer), d.h. monatlich 87,25 EUR. Bei einem Bruttolohn von 11.400 EUR ergibt sich ein zu versteuerndes Einkommen unterhalb von 11.604 EUR, sodass der Schuldner keine Steuern zahlen muss, d.h. er hat ein Erstattungsanspruch von 6 × 87,25 EUR = 523,50 EUR.
Abtretung oder Pfändung?
In Abhängigkeit von der Kooperationsbereitschaft des Schuldners kann er den Erstattungsanspruch am 1. des Folgejahres (1.1.2025) an den Gläubiger abtreten. Dabei muss das amtliche Formular zur Abtretung von Steuererstattungsansprüchen genutzt werden, welches sich in der Formularsammlung des Bundesfinanzministeriums findet (https://www.formulare-bfinv.de/ffw/form/display.do?%24context=7C8CCD30A82E90085CD1).
Alternativ kann der Steuererstattungsanspruch nach §§ 829, 835 ZPO gepfändet und zur Einziehung überwiesen werden. Auszufüllen ist hierzu das Modul G in der Anlage 5 zur Zwangsvollstreckungsformular-Verordnung, d.h. dem Entwurf des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses.
Hinweis
Zu beachten ist § 46 Abs. 6 AO. Danach darf ein Pfändungs- und Überweisungsbeschluss nicht erlassen werden, bevor der Anspruch entstanden ist. Ein entgegen diesem Verbot erwirkter Pfändungs- und Überweisungsbeschluss oder eine erwirkte Pfändungs- und Einziehungsverfügung sind nichtig. Der Erstattungsanspruch entsteht aber erst mit dem Ablauf des Steuerjahres. Der Erstattungsanspruch für das Jahr 2024 entsteht also erst am 1.1.2025. Allerdings können auch die Erstattungsansprüche früherer Jahre gepfändet werden. Wenige Schuldner geben tatsächlich eine Einkommensteuererklärung ab, obwohl ihnen ein Steuererstattungsanspruch zusteht.
2. Der zweite Fall: der Schuldner, der sich trennt
Beispiel
Der Schuldner gibt im Rahmen der Kontaktaufnahme an, dass er gerade in Scheidung lebe. Er habe bereits den Scheidungsantrag gestellt. Die Situation nehme seine finanziellen Möglichkeiten sehr in Anspruch, da er nun einen eigenen Hausstand unterhalte und er von seinem Ehegatten noch keinen Unterhalt bekomme.
Mehr als nur eine Möglichkeit: Den Zugewinn be(tr)achten
Die vom Schuldner aufgezeigte Fallkonstellation, die in der Praxis zuweilen auch nur in Teilbereichen anzutreffen ist, eröffnet eine ganze Reihe von Möglichkeiten.
Die Zugewinngemeinschaft nach § 1363 ff. BGB ist der Regelgüterstand von zwei Ehegatten, greift also immer, wenn diese vertraglich nichts anderes vereinbart haben. In diesem Güterstand verbleibt jeder Ehegatte an seinem Vermögen verfügungsberechtigt, mehrt oder mindert es. Am Anfang der Ehe muss deshalb sein Vermögen ebenso festgestellt werden (Anfangsvermögen) wie am Ende der Ehezeit (Endvermögen). Die Differenz stellt den sogenannten Zugewinn dar. Endet die Zugewinngemeinschaft anders als durch Tod, etwa mit der Rechtskraft der Scheidung oder – wie in der Praxis häufig – durch eine Änderung des Güterstandes im Rahmen einer zuvor bereits geschlossenen Scheidungsfolgenvereinbarung, so kann ein Zugewinnausgleichsanspruch nach § 1378 Abs. 1 BGB entstehen. Das bedeutet: Übersteigt der Zugewinn des einen Ehegatten den Zugewinn des anderen, so steht die Hälfte des Überschusses dem anderen Ehegatten zu.
Es kommt auf den richtigen Zeitpunkt an
Während der Ehezeit ist der Ausgleichsanspruch nach § 1378 Abs. 1 BGB weder vererblich noch abtretbar, was nach § 851 ZPO dazu führt, dass er in dieser Zeit auch nicht pfändbar ist. Mit der Beendigung des Güterstandes ändert sich dies aber nach §...