Leitsatz
Die im Rechtsmittelverfahren vorzunehmende Beurteilung von noch nicht abgeschlossenen Sachverhalten zur "Monatsanfangsproblematik" des Pfändungsschutzkontos hat auch dann nach den durch das Zweite Gesetz zur erbrechtlichen Gleichstellung nichtehelicher Kinder, zur Änderung der Zivilprozessordnung und der Abgabenordnung vom 12.4.2011 (BGBl I S. 615 f.) geänderten § 835 Abs. 4 S. 1, § 850k Abs. 1 ZPO zu erfolgen, wenn die Pfändung vor Inkrafttreten des Gesetzes stattgefunden hat.
BGH, 14.7.2011 – VII ZB 85/10
1 I. Der Fall
Ansprüche aus dem P-Konto gepfändet
Die Gläubiger betreiben gegen den Schuldner die Zwangsvollstreckung aus einem vor dem AG geschlossenen Vergleich. Auf Antrag der Gläubiger erging ein Pfändungs- und Überweisungsbeschluss (PfÜB), durch den u.a. die Ansprüche des Schuldners gegen sein Kreditinstitut, die Drittschuldnerin, gepfändet wurden, bei dem der Schuldner ein P-Konto unterhielt.
Zahlung für den Folgemonat geht verfrüht ein
Nachdem der Schuldner im Okober 2010 den ihm zustehenden Freibetrag gemäß § 850k Abs. 1 ZPO a.F. von 1.151,81 EUR bereits in voller Höhe ausgeschöpft hatte, ging am 27.10.2010 auf dem Konto Arbeitslohn für 11/2010 ein. Der Schuldner hat beantragt, den PfÜB dahingehend abzuändern, dass die Pfändung für den Monat Oktober in Höhe von 1.151,81 EUR für unwirksam erklärt und der ihm zustehende Freibetrag für den Monat Oktober um 1.151,81 EUR erhöht werde. Die Gläubiger haben die sofortige Auszahlung des im Oktober eingegangenen Arbeitslohns verlangt und sich gegen die Verdoppelung des Freibetrags gewandt. AG und LG sind dem Antrag des Schuldners gefolgt.
2 II. Der Praxistipp
BGH erklärt neues Recht für anwendbar
Der BGH musste sich mit der eigentlichen Monatsanfangsproblematik überhaupt nicht mehr beschäftigen, weil er die Neuregelung des Pfändungsschutzes nach §§ 835, 850k ZPO auch für die Altfälle für anwendbar erklärt hat.
Der Inhalt der Neuregelung
Mit der Neuregelung des § 835 Abs. 4 Satz 1 ZPO in dem Zweiten Gesetz zur erbrechtlichen Gleichstellung nichtehelicher Kinder, zur Änderung der Zivilprozessordnung und der Abgabenordnung vom 12.4.2011 (BGBl I S. 615 f.), die am 16.11.2011 in Kraft getreten ist, kann ein Guthaben auf einem Pfändungsschutzkonto im Sinne von § 850k Abs. 7 ZPO am Monatsende nur insoweit an den Gläubiger ausgezahlt werden, als dieses den dem Schuldner gemäß § 850k Abs. 1 ZPO zustehenden monatlichen Freibetrag für den Folgemonat übersteigt. Damit kann der Schuldner über den auf dem Pfändungsschutzkonto eingegangenen Lohn, der zum Bestreiten des Lebensunterhalts im Folgemonat bestimmt ist, auch dann verfügen, wenn der monatliche Freibetrag des Kalendermonats gemäß § 850k Abs. 1 ZPO zu diesem Zeitpunkt bereits ausgeschöpft ist, soweit der eingegangene Lohn unterhalb des Freibetrags des Folgemonats liegt, § 835 Abs. 4 S. 1 in Verbindung mit § 850k Abs. 1 S. 2 ZPO.
So argumentiert der BGH
Der BGH vermisst zwar eine Überleitungsvorschrift, die ausdrücklich klar stellt, dass die Neuregelung auch auf Altfälle Anwendung findet, jedoch will er der Gesetzesbegründung den eindeutigen Willen des Gesetzgebers entnehmen, dass die Neuregelung auch alle Altfälle erfasst, um die besonderen Härten für die Schuldner abzumildern. Hierfür sprächen auch Sinn und Zweck der Regelung. Grundsätze des Vertrauensschutzes zugunsten der Gläubiger sieht der BGH nicht verletzt. Gläubiger hätten kein Vertrauen darauf entwickeln können, dass sie aufgrund der Pfändungsvorschriften in die Lage versetzt werden sollten, dem Schuldner für einen Monat die Lebensgrundlage zu entziehen. Das ergibt sich ohne weiteres aus dem vom Gesetzgeber mit der Einrichtung des Pfändungsschutzkontos verfolgten Zweck.
Neue Rechtslage führt den Schuldner zum Erfolg
Die neue Rechtslage schützte das Einkommen des Schuldners für November 2010, welches verfrüht Ende Oktober 2010 ausgezahlt wurde. Nach § 835 Abs. 4 S. 1 ZPO hat der Gesetzgeber eine erweiterte Wartefrist eingeführt. Das am 27.10.2010 gezahlte Gehalt für November unterlag damit zunächst einer besonderen Wartefrist für die Auszahlung an den Gläubiger bis zum Ende des auf die Zahlung folgenden Monats, d.h. bis zum 30.11.2010. Tatsächlich durfte der Betrag aber nur dann an den Schuldner ausgezahlt werden, wenn er ihn nicht bis zu diesem Zeitpunkt verbraucht hat, § 850k Abs. 1 S. 2 ZPO: Zum unpfändbaren Guthaben gehört danach auch das Guthaben, das bis zum Ablauf der Frist des § 835 Abs. 4 ZPO nicht an den Gläubiger geleistet werden darf.