Ist das Überprüfungsverfahren ein Rechtsmittel?

Der Erfolg des Rechtsmittels ist davon abhängig, ob der Überprüfungsantrag überhaupt ein statthaftes Rechtsmittel ist. Der Gerichtshof hat bislang nicht entschieden, ob der Antragsgegner in einem Fall, in dem eine Zustellung des Europäischen Zahlungsbefehls nicht oder nicht wirksam erfolgt ist, überhaupt eine gerichtliche Entscheidung herbeiführen kann.

 

Checkliste: Wann ist das Überprüfungsverfahren statthaft

Gemäß Art. 20 Abs. 1 EUMahnVVO kann die Überprüfung des Europäischen Zahlungsbefehls nach Ablauf der in Art. 16 Abs. 2 genannten Frist beantragt werden, wenn

der Zahlungsbefehl in einer der in Artikel 14 genannten Formen zugestellt wurde und die Zustellung ohne Verschulden des Antragsgegners nicht so rechtzeitig erfolgt ist, dass er Vorkehrungen für seine Verteidigung treffen konnte, oder
der Antragsgegner aufgrund höherer Gewalt oder aufgrund außergewöhnlicher Umstände ohne eigenes Verschulden ­keinen Einspruch gegen die Forderung einlegen konnte.
Gemäß Art. 20 Abs. 2 EUMahnVVO kann die Überprüfung nach Ablauf der in Art. 16 Abs. 2 genannten Frist ferner beantragt werden, wenn der Europäische Zahlungsbefehl gemessen an den in der Verordnung festgelegten Voraussetzungen oder ­aufgrund von anderen außergewöhnlichen Umständen offensichtlich zu Unrecht erlassen worden ist.

Einspruchsfrist muss abgelaufen sein

Nach Art. 20 EUMahnVVO setzt der Überprüfungsantrag also in beiden Absätzen voraus, dass die Einspruchsfrist bereits abgelaufen ist. Die Antragsgegnerin bringt dagegen vor, dass der Europäische Zahlungsbefehl nie wirksam zugestellt worden sei. Ohne Zustellung hätte die Einspruchsfrist nicht zu laufen angefangen und könnte daher nicht abgelaufen sein. Nach dem ausdrücklichen Wortlaut der Norm ist ein Rechtsmittel gegen den Europäischen Zahlungsbefehl für den Fall der unterbliebenen oder unwirksamen Zustellung daher nicht gegeben.

Rechtsschutzlücke?

Würde es beim Wortlaut der Verordnung (EG) Nr. 261/2006 bleiben, entstünde eine erhebliche Lücke bei den Rechtsschutzmöglichkeiten eines Antragsgegners. Derjenige, der den Zahlungsbefehl zugestellt erhalten hat, den Einspruch jedoch aus durch die Verordnung vorgesehenen Gründen nicht rechtzeitig eingelegt hat, könnte sich der Vollstreckung erwehren. Derjenige, der den Europäischen Zahlungsbefehl fehlerhaft oder sogar gar nicht erhalten hat, wäre dagegen rechtsschutzlos gestellt.

Keine verordnungskonforme Lösungsmöglichkeit

Die Verordnung sieht auch nicht vor, dass der Europäische Zahlungsbefehl durch das zuständige Organ, das ihn erlassen hat (in Deutschland: der Rechtspfleger) wieder aufgehoben oder zurückgefordert werden kann. Eine Überprüfung der Zustellung und Aufhebung der Vollstreckbarkeitserklärung von Amts wegen (für diese Lösung: Geimer/Schütze-Kodek, Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen, Art. 20 Rn 8, 29) findet in den Grundsätzen der Verordnung erst recht keine Stütze. Der Sachverhalt kann auch sonst nicht geprüft werden. Im Mahnverfahren nach der deutschen ZPO kann eine Prüfung der Wirksamkeit der Zustellung und der damit verbundenen Folgen unschwer und zeitnah durch den Richter erfolgen. Denn nach einem Einspruch – egal ob zulässig oder unzulässig, rechtzeitig, verspätet oder eben unklar – wird das Mahnverfahren automatisch an das Streitgericht abgegeben (§§ 700 Abs. 3 S. 1, 692, 700 Abs. 1 Nr. 1 ZPO). Eine solche Abgabe ist unschwer möglich, weil der Gläubiger schon bei seinem Antrag auf den Erlass des Mahnbescheids angeben muss, welches Gericht im Falle des Einspruchs das Streitgericht sein soll (§ 690 Abs. 1 Nr. 5 ZPO). Im Antrag auf den Erlass des Europäischen Zahlungsbefehls (Art. 7 Abs. 1 EUMahnVVO) ist die Angabe des späteren Streitgerichts dagegen nicht vorgesehen. Die Abgabe an ein Streitgericht findet nach einem Einspruch nur gemäß dem Recht des Ursprungsmitgliedstaates statt, Art. 17 Abs. 1, 2 EUMahnVVO. Nach der deutschen ZPO (§ 1090 Abs. 1 und 2 ZPO) bedeutet dies z.B., dass der Gläubiger durch das Europäische Mahngericht aufgefordert wird, ein Streitgericht zu benennen. Solange der Gläubiger dies nicht tut – oder falls er überhaupt kein Gericht benennt –, findet überhaupt keine Abgabe statt. Das bedeutet in Konsequenz, dass der Antragsteller einen Europäischen Zahlungsbefehl mit einer Vollstreckbarerklärung in Händen hält, dass der Antragsgegner aber keine Möglichkeit hat, die Einhaltung der Einspruchsfrist bzw. die Tatsache, dass sie nie zu laufen begann, durch einen Richter prüfen zu lassen, weil die Akte weder nach den allgemeinen prozessualen Regeln einem Richter zugeleitet wird, noch das Verfahren nach Art. 20 EUMahnVVO direkt anwendbar ist.

Lösungsansätze in der Literatur …

In der deutschen Literatur wird daraufhin die Auffassung vertreten, dass Art. 20 EUMahnVVO auf den Fall der fehlerhaften oder gänzlich unterbliebenen Zustellung analog oder in weiter Auslegung anzuwenden sein solle (Röthel/Sparmann, WM 2007, 1101, 1104; Schlosser, EU-Zivilprozessrecht, 3....

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