Leitsatz
Überweist die Krankenkasse den Erstattungsbetrag für den Krankenhausaufenthalt einer Tochter auf das Pfändungsschutzkonto, muss dieser Betrag freigegeben werden.
AG Dortmund, 4.8.2016 – 233 M 761/16
1 I. Der Fall
Krankenkasse erstattet Rechnung vom Krankenhausaufenthalt auf P-Konto
Die Gläubigerin hat im Wege der Zwangsvollstreckung auf das P-Konto der Schuldnerin zugegriffen. Auf dieses Konto wurden am 7.6.2016 2.959 EUR überwiesen. Es handelte sich um die Erstattung einer Rechnung für den Krankenhausaufenthalt der Tochter. Nachdem sich die Drittschuldnerin wegen der Erschöpfung des Pfändungsfreibetrages weigert, diesen Betrag an die Schuldnerin auszukehren, begehrt sie dessen Freistellung durch gerichtlichen Beschluss. Die Gläubigerin wurde gehört, hat sich innerhalb der gesetzten Frist jedoch nicht geäußert
2 II. Die Entscheidung
AG gibt den Betrag frei
Der Einmalbetrag wurde seitens der Krankenkasse gezahlt, um Rechnungen für den Krankenhausaufenthalt der Tochter zu bezahlen. Diese Rechnungen müssen aus dem überwiesenen Betrag in Höhe von 2.959 EUR gezahlt werden. Der Betrag ist zweckgebunden und war daher freizugeben.
3 Der Praxistipp
Fehler: Gläubigerin hat nicht Stellung genommen
Die Gläubigerin hat sich hier selbst um einen Vollstreckungserfolg in Höhe des freigegebenen Betrages gebracht. Für die Freigabe der Erstattungsleistung der Krankenkasse fehlt es nämlich an einer Rechtsgrundlage. Das AG nennt in seiner Entscheidung eine solche Rechtsgrundlage auch nicht. Es wäre seitens des Gläubigers notwendig gewesen, darauf hinzuweisen, dass § 850k Abs. 4 ZPO keine Grundlage für eine Freigabe des Guthabens darstellt. Es bliebe dann abzuwarten, ob ein expliziter Antrag nach § 765a ZPO gestellt wird. Es wäre dann im Einzelfall zu prüfen, ob die Voraussetzungen vorliegen.
Anders AG Neukölln
Dementsprechend haben andere Gerichte den gleichen Sachverhalt auch abweichend beurteilt und eine Freistellung abgelehnt (AG Neukölln FoVo 2016, 100).
Stellt sich die Frage nach dem Pfändungsschutz, muss zunächst geprüft werden, ob spezielle Pfändungsschutzvorschriften existieren. Dies ist mit § 850k Abs. 4 ZPO der Fall. Er verweist auf Pfändungsschutzvorschriften für Arbeitseinkommen, auf § 54 SGB I und § 76 EStG. Danach war erkennbar keine Grundlage für eine Erhöhung des Pfändungsfreibetrages zu sehen. Auch das LG Berlin (13.4.2016 – 51 T 236/16) hat in einer vergleichbaren Situation dort keine Grundlage für eine Freistellung gesehen, sondern allein die Schutzmöglichkeit des § 765a ZPO in Betracht gezogen.
Auf Antrag des Schuldners kann das Vollstreckungsgericht nach § 765a ZPO eine Maßnahme der Zwangsvollstreckung ganz oder teilweise aufheben, untersagen oder einstweilen einstellen, wenn die Maßnahme unter voller Würdigung des Schutzbedürfnisses des Gläubigers wegen ganz besonderer Umstände eine Härte bedeutet, die mit den guten Sitten nicht vereinbar ist. Die Anwendung dieser Schutznorm ist in Ergänzung von § 850k Abs. 4 ZPO möglich, auch wenn sie dort nicht genannt wird, weil sie zum Bestand des allgemeinen Vollstreckungsschutzrechtes gehört.
Ausnahmecharakter und Voraussetzungen sehen
Allerdings ist der Ausnahmecharakter der Norm ebenso zu sehen, wie die konkret genannten Voraussetzungen zu prüfen sind. Als Ausnahmevorschrift ist sie grundsätzlich restriktiv anzuwenden. Es obliegt dem Schuldner darzulegen, dass einerseits eine ganz besondere Härte vorliegt, die über die üblichen Beeinträchtigungen der Zwangsvollstreckung hinausgeht. Sodann ist festzustellen, dass diese Härte mit den guten Sitten unvereinbar ist. Letztlich bleibt es dem Gläubiger überlassen, sein Schutzbedürfnis und seine Belange zur Geltung zu bringen. Im vorliegenden Fall hat das AG Dortmund keinen dieser Gesichtspunkte geprüft oder begründet. Die Entscheidung kann deswegen nicht überzeugen.
Hinweis
Daran fehlt es auch der erwähnten Entscheidung des LG Berlin. So könnte eine besondere Härte nur dann festzustellen sein, wenn der Schuldner die Krankenhausrechnung noch nicht beglichen hat und sein laufender Unterhalt ohne die Erstattungsleistung konkret gefährdet ist. All das muss der Schuldner darlegen.
FoVo 11/2016, S. 215 - 217