Besondere Umstände, die einem "Ausnutzen" gleichstehen?
Die objektive Unrichtigkeit des Titels und die – spätestens im Prozess auch vom Gläubiger erworbene – subjektive Kenntnis davon reichen aber grundsätzlich allein nicht aus, um die weitere Vollstreckung aus einem rechtskräftigen Titel als sittenwidrig erscheinen zu lassen. Es müssen vielmehr besondere Umstände hinzutreten, aufgrund derer es dem Gläubiger zugemutet werden muss, die ihm unverdient zugefallene Rechtsposition aufzugeben. Die Durchbrechung der Rechtskraft eines Vollstreckungstitels, auch eines Vollstreckungsbescheids, auf der Grundlage eines Schadensersatzanspruchs nach § 826 BGB darf aber nur in besonders schwerwiegenden, eng begrenzten Ausnahmefällen gewährt werden, weil sonst die Rechtskraft ausgehöhlt und die Rechtssicherheit beeinträchtigt würden. Die Rechtskraft muss nur dann zurücktreten, wenn es mit dem Gerechtigkeitsgedanken schlechthin unvereinbar wäre, dass der Titelgläubiger seine formelle Rechtsstellung unter Missachtung der materiellen Rechtslage zu Lasten des Schuldners ausnutzt (BGH NJW 2005, 2991, 2994).
Missbrauch des Mahnverfahrens?
Das sieht der BGH als gegeben an, wenn der Gläubiger die Rechtsdurchsetzung im Wege des Mahnverfahrens unter Ausnutzung des Fehlens der Schlüssigkeitsprüfung gewählt hat (BGH NJW 1987, 3256; BGH NJW 1987, 3259; BGH NJW-RR 1990, 179 f.; BGH NJW 1991, 30), wofür als ausreichend angesehen wird, dass der Anspruch auf der Grundlage der Rechtsprechung im Zeitpunkt der Antragstellung einer Schlüssigkeitsprüfung nicht standgehalten hätte (BGHZ 101, 380, 387 f. = NJW 1987, 3256; BGHZ 103, 44, 48 f. = NJW 1988, 971; BGH NJW-RR 1990, 179, 180).
Hinweis
An dieser Voraussetzung wird die Durchbrechung der Rechtskraft wegen einer Nebenforderung regelmäßig scheitern. Im Fokus der Verfahrenswahl steht nämlich primär der Hauptanspruch und nicht die Nebenforderung. Deren auch wirtschaftliche Bedeutung ist schon aufgrund der niedrigen Plausibilitätsgrenzen – bei den Kontoführungsgebühren lag diese bei 20 EUR – viel zu gering, um einen Missbrauch des Mahnverfahrens anzunehmen. Dies gilt umso mehr, wenn das Mahnverfahren sogar ausdrücklich Bezeichnungen für bestimmte Nebenforderungen vorgesehen hat.
Klar erkennbare sittenwidrige Typik?
Die Rechtsprechung schränkt dies auf Fälle ein, in denen sich der Antragsteller die fehlende Schlüssigkeitsprüfung zunutze macht, also in Kenntnis der Unschlüssigkeit der Klage und des Fehlens der Schlüssigkeitsprüfung im Mahnverfahren den Weg des Mahnverfahrens beschreitet und der Fall einer klar umrissenen sittenwidrigen Typik folgt (BGH NJW 1999, 1257, 1258 ). Nicht ausreichend für die Anwendung des § 826 BGB ist es, wenn der Gläubiger in einer unklaren rechtlichen Situation der Schlüssigkeitsprüfung durch die Wahl des Mahnverfahrens faktisch entgeht, ohne dass dies seinem Vorsatz entsprach (OLG Stuttgart 3.2.2005 – 9 W 8/05).