Leitsatz
Maßgeblicher Zeitpunkt für die Bestimmung der Zuständigkeit nach § 828 Abs. 2 ZPO ist der durch die erste Vollstreckungshandlung gekennzeichnete Beginn der Zwangsvollstreckung, nicht der des Eingangs des Vollstreckungsantrags. Der allgemeine Gerichtsstand einer natürlichen Person wird durch ihren gem. §§ 7 ff. BGB zu bestimmenden Wohnsitz begründet, der sich im Falle ihrer anderweitigen Inhaftierung oder Unterbringung regelmäßig nur dann ändert, wenn der anderweitige Aufenthalt von längerer Dauer ist.
OLG Hamm, Beschl. v. 4.6.2019 – 32 SA 38/19
1 I. Der Fall zusammengefasst
Vollstreckungsbescheid als Grundlage der Zwangsvollstreckung
Die Gläubigerin betreibt gegen den Schuldner die Zwangsvollstreckung aus einem Vollstreckungsbescheid. Der Hauptforderung liegt ein ärztlicher Vergütungsanspruch in Höhe von 85,36 EUR zugrunde, den die Gläubigerin dem Schuldner mit Schreiben vom 6.1.2017 in Rechnung stellte. Als er nicht zahlte, leitete sie das gerichtliche Mahnverfahren ein. Der Vollstreckungsbescheid des AG wurde dem Schuldner am 24.1.2019 unter seiner damaligen Wohnanschrift in Münster zugestellt.
Antrag auf Erlass eines PfÜB am bisherigen Wohnort
Wegen dieser Hauptforderung zzgl. Zinsen, Gebühren, Auslagen und Kosten in Höhe von insgesamt 122,20 EUR hat die Gläubigerin beim AG Münster – Vollstreckungsgericht – die Pfändung und Überweisung der Ansprüche des Schuldners gegen die DS in Münster beantragt. Im Antragsformular hat sie als Wohnsitz des Schuldners angegeben: "F-Straße., … Münster". Dabei handelt es sich tatsächlich um die Postleitzahl von Lippstadt und die Anschrift des "M Lippstadt".
Wirrnisse um den Wohnsitz mit doppeltem Verweisungsantrag
Der Antrag ist beim AG Lippstadt eingegangen, dort als "Irrläufer" behandelt und an das AG Münster weitergeleitet worden. Das AG hat bei der Gläubigerin nachgefragt, ob der Schuldner nun in Münster oder in Lippstadt wohnhaft ist. Die Gläubigerin hat daraufhin ein korrigiertes Antragsformular übersandt und Verweisung an das AG Lippstadt beantragt. Dem ist das AG Münster nachgekommen. Das AG Lippstadt wollte den Fall aber nicht übernehmen und hat angekündigt, das Verfahren zur Zuständigkeitsbestimmung dem OLG vorzulegen.
Hintergrund: Der Schuldner befinde sich nur vorübergehend aufgrund einer einstweiligen Unterbringung nach § 126a StPO in der M-Klinik in Lippstadt. Wie bei einem Strafgefangenen bzw. Untersuchungshäftling werde in diesem Fall der ursprüngliche Wohnsitz nicht aufgegeben und bleibe für die Bestimmung der Zuständigkeit nach § 828 Abs. 2 ZPO maßgeblich. Die Gläubigerin hat daraufhin mit Schriftsatz vom 29.4.2019 unter Angabe der letzten Wohnanschrift des Schuldners in Münster eine erneute Verweisung beantragt.
Das OLG muss Sachverhalt klären und entscheiden
Dem ist das AG Lippstadt nicht gefolgt, sondern hat die Sache wie angekündigt dem OLG zur Bestimmung des örtlich zuständigen Gerichts vorgelegt. Der Senat hat die Gläubigerin um Aufklärung gebeten, wie die abweichenden Angaben zum Wohnsitz des Schuldners zu erklären sind und welche Informationen ihr über seinen derzeitigen Aufenthaltsort vorliegen. Sie hat dazu vorgetragen, dass es sich bei der Angabe des Ortsnamens im ursprünglichen Antrag vom 25.3.2019 um ein Versehen gehandelt habe. Berichten in der Lokalpresse habe sie entnommen, dass sich der Schuldner nicht mehr in der M-Klinik in Lippstadt aufhalte, sondern seit dem 9.5.2019 wieder unter seiner ursprünglichen Postanschrift wohnhaft sei.
2 II. Die Entscheidung
Voraussetzungen der Gerichtsstandsbestimmung
Die Voraussetzungen für eine Gerichtstandbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO liegen vor. Mit Beschl. v. 15.4.2019 hat sich das AG Münster im Sinne von § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO rechtskräftig für unzuständig erklärt. Das gilt auch für das AG Lippstadt, das durch den Vorlagebeschluss vom 2.5.2019 der Gläubigerin gegenüber zu erkennen gegeben hat, dass es nicht gewillt ist, sich der Sache anzunehmen.
Der Senat ist für die Gerichtsstandbestimmung zuständig, da sich sowohl das AG Münster als auch das AG Lippstadt im Bezirk des OLG befinden, jedoch in verschiedenen Landgerichtsbezirken, so dass das Oberlandesgericht das im Rechtszug zunächst höhere Gericht i.S.v. § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO ist.
Der Wohnsitz ist maßgeblich
Örtlich zuständig ist das AG Münster. Für den Erlass eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses ist gem. §§ 802, 828 Abs. 1 ZPO das Vollstreckungsgericht ausschließlich zuständig.
Das Vollstreckungsgericht ist nach § 828 Abs. 2 ZPO das AG, bei dem der Schuldner seinen allgemeinen Gerichtsstand hat. Damit wird auf § 13 ZPO Bezug genommen, wonach der allgemeine Gerichtsstand einer Person durch ihren Wohnsitz bestimmt wird.
Der Begriff des Wohnsitzes ist in der ZPO nicht bestimmt, sondern §§ 7 ff. BGB zu entnehmen. Wohnsitz ist der Ort, an dem sich jemand ständig niederlässt, in der Absicht, ihn zum räumlichen Schwerpunkt der Lebensverhältnisse zu machen (vgl. Schultzky, in: Zöller, ZPO, 32. Aufl. 2018, § 13 Rn 4 m.w.N.).
Sondersituation der Unterbringung
Ist ein solcher begründet, kommt es davon abweichend a...