Leitsatz
Die Verurteilung, Bitcoins an eine bestimmte Wallet-Adresse des Gläubigers zu übertragen, ist auf eine vertretbare Handlung gerichtet und daher gemäß § 887 ZPO zu vollstrecken.
OLG Düsseldorf, Beschl. v. 19.1.2021 – 7 W 44/20
1 Der Fall
Anspruch auf Übertragung von Bitcoins
Durch Versäumnisurteil des LG Mönchengladbach vom 3.12.2019 wurde der Schuldner (u.a.) verurteilt, 0,9 Bitcoins (BTC) an die (genau bezeichnete) Wallet-Adresse des Gläubigers zu übertragen. Der Gläubiger vertritt die Auffassung, die titulierte Verpflichtung könne dadurch erfüllt werden, dass er oder ein beliebiger Dritter gegen Bezahlung 0,9 Bitcoins erwerbe und an seine – des Gläubigers – Wallet-Adresse übertrage.
Antrag: Ermächtigung zur Ersatzvornahme und Vorschusszahlung
Der Gläubiger hat nun beantragt, ihn zu ermächtigen, die dem Schuldner obliegende vertretbare Handlung, die Übertragung von 0,9 Bitcoins (BTC) auf seine Wallet-Adresse, auf Kosten des Schuldners im Wege der Ersatzvornahme durch ihn oder einen von ihm zu beauftragenden Dritten vornehmen zu lassen und den Schuldner zu verurteilen, hierzu einen entsprechenden Vorschuss zu leisten.
LG: unvertretbare Handlung
Das LG hat die Anträge zurückgewiesen. Bei der titulierten Verpflichtung handele es sich um eine gem. § 888 ZPO zu vollstreckende unvertretbare Handlung, weil die Übertragung von Bitcoins die Kenntnis des Speicherorts des privaten Schlüssels des Übertragenden voraussetze, die ein Dritter nicht habe. Hiergegen wendet sich der Gläubiger mit seiner sofortigen Beschwerde.
2 II. Die Entscheidung
OLG widerspricht: vertretbare Handlung
Die zulässige sofortige Beschwerde ist begründet. Die Anträge des Gläubigers sind gem. § 887 Abs. 1, 2 ZPO begründet, weil die titulierte Verpflichtung zur Übertragung von Bitcoins in einer vertretbaren Handlung i.S.v. § 887 ZPO besteht. Die Verpflichtung, 0,9 Bitcoins, d.h. Kryptowerte i.S.v. § 1 Abs. 11 S. 4 KWG, zu übertragen, richtet sich weder auf eine – gem. §§ 802a ff. ZPO zu vollstreckende – Zahlung eines Geldbetrages noch auf eine – gem. §§ 883 ff. ZPO zu vollstreckende – Herausgabe, sondern auf eine sonstige Handlung. Ob sie gem. § 887 ZPO oder gem. § 888 ZPO zu vollstrecken ist, hängt davon ab, ob die geschuldete Handlung vertretbar ist, d.h. durch einen Dritten vorgenommen werden kann. Es muss vom Standpunkt des Gläubigers aus wirtschaftlich gleichgültig sein, durch wen die Handlung vorgenommen wird, und vom Standpunkt des Schuldners aus rechtlich zulässig sein, dass ein anderer als er selbst die Handlung vornimmt (Zöller/Seibel, ZPO, 33. Aufl., § 887 Rn 2).
OLG positioniert sich in der Streitfrage
Ob diese Voraussetzungen erfüllt sind, wenn der Schuldner zur Herausgabe oder Übertragung von Bitcoins verurteilt worden ist, ist in der Literatur umstritten (für eine Vollstreckung gem. § 888 ZPO BeckOGK-BGB/Mössner, Stand 1.4.2020, § 90 Rn 104.4; Badstuber, DGVZ 2019, 246, 252; Güldü, GmbHR 2019, 565, 568; Ammann, CR 2018, 379, 386; Bräutigam/Rücker-Boehm/Bruns, E-Commerce, 13. Teil E Rn 50; Kütük/Sorge, MMR 2014, 643, 645; a.A. Koch, DGVZ 2020, 85, 88; Effer-Uhe, ZZP 131 (2018), 513, 529). Gerichtliche Entscheidungen dazu sind, soweit ersichtlich, bisher nicht veröffentlicht.
Entscheidend: Woher müssen die Bitcoins kommen?
Für den Gläubiger ist es wirtschaftlich ohne Bedeutung, durch wen und auf welche Weise die Gutschrift von Bitcoins in seinem Wallet herbeigeführt wird. Eine Erfüllung der titulierten Verpflichtung durch einen Dritten oder den Gläubiger selbst wäre zwar, worauf das LG und die zitierten Literaturstimmen zutreffend hinweisen, aus tatsächlichen Gründen nicht möglich, wenn die geschuldeten Bitcoins gerade aus einem Wallet des Schuldners stammen müssten, auf das nur dieser zugreifen kann. Ein derartiges Erfordernis kann dem Titel indes nicht entnommen werden.
Der Schuldner ist dem Klageantrag des Gläubigers entsprechend verurteilt worden, an eine bestimmt bezeichnete Wallet-Adresse des Gläubigers 0,9 Bitcoins "zu übertragen". Dass die Kryptowerte gerade aus einem Wallet des Schuldners stammen müssten und nicht anderweitig beschafft, beispielsweise über die Plattform bitcoin.de erworben worden sein dürften, geht aus dem Wortlaut des Tenors nicht hervor. Auch sonst bestehen keine Anhaltspunkte für eine derartige Beschränkung, die zur Folge hätte, dass der Schuldner nicht leisten müsste, wenn und soweit sich in seinem Wallet keine 0,9 Bitcoins befänden. Im Gegenteil ergibt die Klageschrift, die das gem. §§ 887, 888 ZPO zuständige Prozessgericht auch im Vollstreckungsverfahren berücksichtigen darf (BGH WM 2015, 1949 Rn 22; BGH WM 2010, 358 = NJW 2010, 2137 Rn 12), dass der Gläubiger nicht die Rückgabe gerade der dem Schuldner überlassenen Bitcoin-Anteile, sondern ähnlich wie ein Sachdarlehensgeber Kryptowerte "gleicher Art, Güte und Menge" erstrebte.
3 Der Praxistipp
Bedeutung der Streitfrage steigt
Krypto-Währungen spielen eine zunehmende Rolle im Wirtschaftsleben. Inzwischen haben auch verschiedene Staaten solche Währungen eingeführt. Auch innerhalb von Europa wird darüber nachgedacht. Da...