Anwender muss europäisch denken
Immer häufiger kommt es zur Zwangsvollstreckung mit internationalem, insbesondere europäischem Bezug. Auch die Leseranfragen hierzu werden mehr. Dem will FoVo mit einer losen Folge von Beiträgen Rechnung tragen.
Die Suche nach der Rechtsgrundlage
In der Praxis stellt sich im ersten Schritt die Frage, nach welcher Verordnung die Anerkennung und Vollstreckung des Titels im Ausland erfolgen kann. Ausgangspunkt ist, dass man bereits einen inländischen Titel besitzt und ihn in einem anderen europäischen Land in Europa für vollstreckbar erklären möchte.
Eine erste zentrale Unterscheidung: EU oder Nicht-EU
Wenn man im europäischen Ausland vollstrecken möchte, muss unterschieden werden, ob es sich um einen EU-Mitgliedsstaat oder ein anderes Land handelt und ab wann die Rechtsgrundlage im jeweiligen Land anwendbar ist. Maßgeblich für die anzuwendende Fassung des jeweiligen Übereinkommens/der jeweiligen Verordnung ist das Datum der Rechtskraft des zu vollstreckenden Titels sowie das Land, in dem die Entscheidung anerkannt und für vollstreckbar erklärt werden soll, und letzten Endes der Inhalt der jeweiligen Entscheidung.
EuGVÜ oder auch Brüssler Übereinkommen und LugÜ I
Das EuGVÜ und das Lugano-Übereinkommen sind fast inhaltsgleich. Beim Lugano-Übereinkommen handelt es sich ebenso wie beim EuGVÜ um ein Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen.
EuGVÜ für Titel vor dem 1.3.2002
Die letzte Fassung des EuGVÜ trat am 29.11.1996 in Kraft. Der Anwendungsbereich zur Anerkennung und Vollstreckung eines Titels im Rahmen des EuGVÜ beschränkt sich auf Titel, die vor Inkrafttreten des EuGVO, also vor dem 1.3.2002 (Ausnahme: in Dänemark ist die EuGVO erst am 1.7.2007 in Kraft getreten) erlassen worden sind (Übergangsvorschrift zum EuGVO Art. 66), sowie auf wenige überseeische Gebiete (Art. 68 I EuGVVO). Zu den überseeischen Gebieten ist eine Aufzählung in Art. 299 des EG-Vertrages zu finden. Mitgliedsstaaten des EuGVÜ (Brüssel-Übereinkommens) sind Belgien, Dänemark, Deutschland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Irland, Italien, Luxemburg, Niederlande, Österreich, Portugal, Schweden, Spanien, vereinigtes Königreich (Großbritannien).
LugÜ I und II für Island, Norwegen und Schweiz
Das Lugano-Übereinkommen wurde zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft und den Mitgliedsstaaten der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA – European Free Trade Association) geschlossen und hat ebenfalls noch heute Gültigkeit. Das Verhältnis zwischen dem EuGVÜ und dem LugÜ ist in Art. 54 b Abs. 1 und 2 LugÜ geregelt. In den weiteren Artikeln des Titels VII des LugÜ ist das Verhältnis zu anderen mit den jeweiligen Vertragsstaaten geschlossenen Abkommen geregelt. Nach derzeitigem Stand ist aus deutscher Sicht das Lugano-Übereinkommen nur noch im Verhältnis zu Island und Norwegen und in der Schweiz anzuwenden. Bezüglich Norwegens ist jedoch zu beachten, dass hier seit 1.1.2010 bereits das revidierte Lugano-Übereinkommen (LugÜ II ähnlich der EuGVO) anzuwenden ist. Am 20.10.2010 deponierte auch die Schweiz die Ratifikationsurkunde. Damit tritt das revidierte Lugano-Übereinkommen definitiv am 1.1.2011 in Kraft.
Anerkannt und vollstreckt werden Entscheidungen
Anerkannt und vollstreckt werden nach Art. 1 i.V.m. Art. 25 beider Verordnungen gerichtliche Entscheidungen, die in Zivil- oder Handelssachen ergangen sind und in den zeitlichen Anwendungsbereich bzw. in den territorialen Rahmen des EuGVÜ und LugÜ I fallen. Art. 25 EuGVÜ/LuGÜ I enthält zunächst eine Definition für den Begriff "Entscheidung": "Unter Entscheidung’ im Sinne dieses Übereinkommens ist jede von einem Gericht eines Vertragsstaats erlassene Entscheidung zu verstehen, ohne Rücksicht auf ihre Bezeichnung wie Urteil, Beschluss oder Vollstreckungsbefehl, einschließlich des Kostenfestsetzungsbeschlusses eines Urkundsbeamten."
Anerkenntnis ohne besonderes Verfahren
In Art. 26 EuGVÜ/LuGÜ wurde festgelegt, dass in einem Vertragsstaat ergangene Entscheidungen in den anderen Vertragsstaaten anerkannt werden, ohne dass es hierfür eines besonderen Verfahrens bedarf. In Art. 27 und 28 EuGVÜ/LuGÜ sind einzelne Versagungsgründe für die Anerkennung niedergelegt. In der Praxis kommt Art. 27 Ziff. 2 EuGVÜ/LugÜ die größte Bedeutung zu, also insbesondere dann, wenn einem Beklagten/Antragsgegner bei einem Versäumnisurteil oder Vollstreckungsbescheid (also demjenigen Beklagten, der sich nicht auf das Verfahren eingelassen hat) das das Verfahren einleitende Schriftstück (Mahnbescheid oder Klageschrift) nicht ordnungsgemäß oder so rechtzeitig zugestellt worden ist, dass er sich verteidigen konnte.
Der entsprechende Nachweis sollte mittels Postzustellungsurkunde geführt werden, die als beglaubigte Abschrift von dem zustellenden Gericht verlangt werden kann.
Eine Entscheidungssammlung zur Auslegung von EuGVÜ und LugÜ wird auf der Internetseite http://curia.europa.eu/common/recd...