Leitsatz

Eine Zwangsvollstreckung aus einem bereits vorhandenen Titel kann nicht allein deshalb nach § 775 Nr. 1 ZPO eingestellt werden, weil ein festgestellter Schuldenbereinigungsplan vorliegt.

BGH, 14.7.2011 – VII ZB 118/09

1 I. Der Fall

GV verweigert ZwV wegen Schuldenbereinigungsplan

Die Gläubigerin hat den Gerichtsvollzieher (GV) mit der Vollstreckung aus einem Vollstreckungsbescheid (VB) beauftragt. Der GV hat die Vollstreckung nicht durchgeführt und die Zwangsvollstreckung eingestellt, weil die titulierte Forderung in einen gerichtlich bestätigten Schuldenbereinigungsplan gem. § 308 Abs. 1 InsO eingegangen sei.

Gläubigerin ist vom Plan zurückgetreten

Die Gläubigerin hat wegen ausgebliebener Zahlungen des Schuldners den Rücktritt vom Schuldenbereinigungsplan erklärt. Sie meint, damit wieder aus dem VB vollstrecken zu können. Gegen die Weigerung des GV, die Zwangsvollstreckung durchzuführen, hat sie Erinnerung eingelegt, die das AG ebenso wie das LG auf die sofortige Beschwerde zurückgewiesen hat.

Beschwerdegericht verweist Gläubiger auf einen langen Weg

Das LG war der Auffassung, der GV habe nicht vollstrecken dürfen, solange der im Verfahren nach § 308 Abs. 1 InsO zustande gekommene und durch gerichtlichen Beschluss bestätigte Schuldenbereinigungsplan bestehe. Dieser stelle einen Vergleich im Sinne des § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO dar, der die Zwangsvollstreckung aus der mit Vollstreckungsbescheid titulierten Forderung, die in den Vergleich eingegangen sei, nach § 775 Nr. 1 ZPO ausschließe. Dem GV müsse, damit er aus dem ursprünglichen Titel vollstrecken könne, nachgewiesen werden, dass der Vergleich nicht mehr bestehe. Er könne und müsse dies nicht selbst prüfen. Der Nachweis könne nicht durch eine bloße Anfechtungs- oder Rücktrittserklärung, sondern nur durch eine gerichtliche Entscheidung geführt werden. Eine solche könne auch im Erinnerungs- oder Beschwerdeverfahren, in dem nur die Zulässigkeit der Zwangsvollstreckung geprüft werde, nicht erlangt werden. Der Gläubiger müsse entweder das zugrunde liegende Verbraucherinsolvenzverfahren wieder aufnehmen oder Feststellungsklage vor dem Streitgericht erheben, um die Wirksamkeit des Vergleichs zu beseitigen. Der Schuldner müsse nicht seinerseits Vollstreckungsgegenklage gegen die Vollstreckung aus dem ursprünglichen Titel erheben, solange er sich auf den Vergleich berufen könne. Der BGH sieht das im Sinne der Gläubiger ganz anders.

2 II. Die Entscheidung

BGH hebt die Entscheidung auf

Die gem. § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 3 S. 2, § 575 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung der angegriffenen Entscheidung und zur Anweisung an den Gerichtsvollzieher, den Vollstreckungsauftrag nicht mit der bisherigen Begründung abzulehnen bzw. die Zwangsvollstreckung einzustellen.

GV hat Reichweite von § 775 ZPO verkannt

Der GV hat die Zwangsvollstreckung zu Unrecht mit der Begründung eingestellt, es liege ein Schuldenbereinigungsplan vor, der die Forderung erfasse. § 775 Nr. 1 ZPO ordnet die Einstellung oder Beschränkung der Zwangsvollstreckung durch das Vollstreckungsorgan an, wenn die Ausfertigung einer vollstreckbaren Entscheidung vorgelegt wird, aus der sich ergibt, dass das zu vollstreckende Urteil oder seine vorläufige Vollstreckbarkeit aufgehoben oder dass die Zwangsvollstreckung für unzulässig erklärt oder ihre Einstellung angeordnet ist. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.

Kein Fall des § 89 InsO

Dem Schuldenbereinigungsplan kommt nicht die Wirkung der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners zu, die zur Unzulässigkeit der Einzelzwangsvollstreckung führen würde, § 89 InsO. Im Gegenteil fingiert der Beschluss des Insolvenzgerichts nach § 308 Abs. 1 S. 1 InsO, mit dem die Annahme des Schuldenbereinigungsplans festgestellt wird, die Rücknahme des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens, § 308 Abs. 2 InsO.

Schuldenbereinigungsplan ist keine gerichtliche Entscheidung

Der Schuldenbereinigungsplan selbst stellt keine gerichtliche Entscheidung im Sinne des § 775 Nr. 1 ZPO dar. Hierunter fallen nur Urteile und Beschlüsse. Der vom Schuldner vorgelegte und von den Gläubigern angenommene Schuldenbereinigungsplan hat materiell-rechtlich die Wirkung eines Vergleichs im Sinne des § 779 BGB. In ihm wird über die Zwangsvollstreckung aus dem ursprünglichen Titel keine vollstreckbare Entscheidung getroffen.

Beschluss nach § 308 InsO hat keine Wirkung nach § 775 ZPO

Auch der Beschluss des Insolvenzgerichts nach § 308 Abs. 1 S. 1 InsO, in dem dieses die Annahme des Schuldenbereinigungsplans durch die Gläubiger bestätigt, enthält inhaltlich keine Entscheidung im Sinne des § 775 Nr. 1 ZPO. Es handelt sich lediglich um einen klarstellenden Beschluss, dem Insolvenzgericht kommt darüber hinaus keine materiell-rechtliche Prüfungskompetenz zu.

Beschluss nach § 308 InsO hat keine Wirkung

Aus dem Umstand, dass der Auszug aus dem Schuldenbereinigungsplan, dessen Annahme durch die Gläubiger durch Beschluss nach § 308 Abs. 1 S. 1 InsO bestätigt worden ist, die Wirkung...

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