Leitsatz
1. Wenn der Räumungsgläubiger zwar über zwei Jahre nicht vollstreckt, jedoch den Ex-Mieter/Schuldner darauf hinweist, dass trotzdem kein neues Mietverhältnis begründet werden soll, so fehlt es schon am Umstandsmoment für eine Titel-Verwirkung.
2. Das Zeitmoment für eine Verwirkung ist in der Regel erst nach Ablauf von fünf Jahren erfüllt.
LG Hamburg, 14.1.2013 – 307 T 2/13
1 I. Die Entscheidung
Vollstreckungsgegenklage gegen Räumung
Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das AG mit dem angefochtenen Beschluss die von der Klägerin beantragte Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die vorliegende Vollstreckungsgegenklage gegen die Zwangsvollstreckung aus dem Räumungsurteil zurückgewiesen. Denn die Klägerin hat keine Einwendungen dargelegt, die die von der Beklagten initiierte Räumungsvollstreckung als unzulässig erscheinen lassen.
Kein neuer Mietvertrag wegen Widerspruchs
Vergeblich beruft sich die Schuldnerin darauf, dass trotz der rechtskräftigen Räumungsverurteilung und der wirksamen Beendigung des ursprünglichen Wohnungsmietvertrages konkludent ein neuer Mietvertrag begründet worden sei. Hiervon kann nicht ausgegangen werden, da die Beklagte ausdrücklich ihren entgegenstehenden Willen erklärt hat. Bereits vor diesem eindeutigen Hintergrund ist die Annahme der Neubegründung eines Mietverhältnisses abwegig.
Auch kein Rechtsmissbrauch
Die eingeleitete Räumungsvollstreckung ist auch nicht rechtsmissbräuchlich. Insoweit hat die darlegungs- und beweispflichtige Klägerin keinen Verwirkungstatbestand gemäß § 242 BGB dargetan. Für die Annahme der Verwirkung ist sowohl ein Zeit- als auch ein Umstandsmoment erforderlich. Vergeblich beruft sich die Klägerin insoweit auf den Rechtsstandpunkt, grundsätzlich trete die Verwirkung bereits nach zweijähriger geduldeter weiterer Nutzung der Wohnung durch den Mieter ein. Dies lässt sich indes nicht allgemein beurteilen, sondern nur nach den jeweils zu würdigenden Umständen des Einzelfalles (siehe dazu nur den grundlegenden Rechtsentscheid des OLG Hamm NJW 1982, 341 = ZMR 1981, 342). Im Übrigen dürfte für die Annahme des Zeitmoments als unterste Grenze eher eine Dauer von fünf Jahren als Orientierung dienen (Sternel, Mietrecht aktuell, 4. Aufl., XIV, Rn 158).
Es fehlt jedenfalls am Umstandsmoment
Jedenfalls liegt das für eine Verwirkung erforderliche Umstandsmoment nicht vor. Auch in diesem Zusammenhang ist auf das vorstehend bereits erörterte Schreiben der Beklagten zu verweisen, in dem sie ausdrücklich darauf hingewiesen hat, dass die einstweilige Unterlassung der Räumungsvollstreckung und die dadurch ermöglichte weitere Gebrauchsüberlassung der Wohnung nicht bedeutet, dass damit ein neues Mietverhältnis begründet bzw. auf Rechte aus dem Räumungsurteil verzichtet werde.
2 II. Der Praxistipp
Zeitablauf begründet noch keine Verwirkung
Immer wieder wird in der Praxis übersehen, dass die Verwirkung zwei Voraussetzungen hat: Zum einen das Zeitmoment und zum anderen das Umstandsmoment. Schon beim Zeitmoment muss beachtet werden, dass damit die Vorschriften über die Verjährung nicht unterlaufen werden dürfen. Es ist deshalb stets die Verjährungsfrist festzustellen und die bereits verstrichene Zeit hierzu in Relation zu setzen. Die Verjährungsfrist muss schon zu einem nicht unerheblichen Teil verstrichen sein.
Umstandsmoment setzt Vertrauenstatbestand voraus
Richtig sieht das Landgericht, dass für das Umstandsmoment ein Vertrauenstatbestand geschaffen sein muss. Dafür reicht der reine Zeitablauf wiederum nicht aus. Vielmehr muss der Schuldner aus aktivem Tun des Gläubigers ableiten können, dass der Gläubiger seinen Vollstreckungsanspruch nicht weiter verfolgen will. Dem steht eine ausdrückliche Erklärung des Gläubigers entgegen. Dem Gläubiger ist allerdings anzuraten, eine solche Erklärung regelmäßig zu wiederholen.
Schuldnerinteressen nicht vernachlässigen
Der Gläubiger sollte allerdings auch die berechtigten Interessen des Schuldners nicht aus den Augen verlieren. Liegt ein Räumungstitel vor, ist ein Zuwarten mit der Vollstreckung nur dann gerechtfertigt, wenn die unterlassene Räumung und der darin liegende zeitliche Vollstreckungsverzicht auf die Beachtung von berechtigten Belangen aus der Sphäre des Schuldners zurückgeht, die möglicherweise sogar eine Vollstreckungseinstellung nach § 765a ZPO rechtfertigen würden. Der Verzicht darf aber nicht dazu dienen, den Schuldner unter dem dauerhaften Damoklesschwert der Räumungsvollstreckung zur pünktlichen (Miet-)Zahlung anzuhalten.
FoVo 12/2013, S. 231 - 232